Köhler gab sein Bestes
: Kommentar von BETTINA GAUS

Kein Bundespräsident ist zu beneiden, der 2005 anlässlich einer Gedenkstunde zum 8. Mai eine Rede halten muss. Die damit verknüpften Erwartungen lassen sich kaum noch erfüllen. Neue, tiefe Überlegungen soll er anstellen. Er soll Gräben benennen, ohne neue aufzureißen, in origineller Form die Vergangenheit verurteilen und sich zugleich optimistisch der Zukunft zuwenden. Also den Kreis quadrieren.

 Horst Köhler hat sein Möglichstes getan. Seine Ansprache war keineswegs spektakulär. Vielleicht ist dies das Beste, was sich darüber sagen lässt. Der Bundespräsident hat den rechtsextremen Terror der Vergangenheit nicht relativiert. Scham, Verachtung und Abscheu: Die Begriffe, mit denen er den Nationalsozialismus belegte, lassen keinen Zweifel an seiner grundsätzlichen Haltung. Das genügt. Mehr muss niemand nachweisen. Auch wenn man seine Bemerkung allzu hoffnungsfroh finden mag, Rechtsextremisten seien heute in Deutschland chancenlos.

 Manche Passagen der Rede legen allerdings den Verdacht nahe, Horst Köhler setze die SED mit den Nationalsozialisten gleich. Jüngere, so sagte er, fragten, wie sich Menschen im so genannten Dritten Reich verhalten hätten, und sie fragten auch, wie es um die Aufarbeitung der SED-Diktatur stehe. Beides ist wahr, aber es ist nicht die Frage nach denselben oder auch nur ähnlichen Sachverhalten.

 So berechtigt es ist, die Menschenrechtsverletzungen in der ehemaligen DDR zu geißeln: Der untergegangene zweite deutsche Staat hat weder einen Angriffskrieg begonnen noch einen Völkermord zu verantworten. Es bedeutet keine Relativierung der Verbrechen des DDR-Regimes, diesen Unterschied für bedeutsam zu halten.

 Es wäre auch nicht nötig gewesen, alle wesentlichen politischen Entscheidungen in Westdeutschland seit 1949 – von der Westbindung und der Marktwirtschaft über die Ostpolitik bis hin zur Nachrüstung – schlicht für „richtig“ zu erklären. Demokratie bedeutet nicht, dass die Mehrheit nachträglich immer Recht gehabt haben muss.

 „Wir“ müssten nicht einmal, wie Köhler das behauptet, vom Rest der Welt „gebraucht“ werden. Es genügte völlig, wenn andere Länder keine Angst mehr vor uns hätten. Man kann dem Präsidenten nach dieser Rede immerhin zugute halten, dass er das grundsätzlich wohl ähnlich sieht.