Auf eigene Rechnung

PROZESS Eine Mitarbeiterin des Sozialamts tat, als überweise sie Geld an Hilfeempfänger – und bezahlte so jahrelang ihre eigenen Außenstände

Vor dem Amtsgericht Tiergarten sitzt eine weinende Frau. Nur schwach sind ihre geschluchzten Worte zu verstehen: „Wenn ich nicht so feige gewesen wäre, hätte ich mir das erspart.“ Wegen 85-facher Untreue wurde die 58-jährige suspendierte Stadtoberinspektorin Karin F. gestern zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Richter hielten ihr zugute, dass sie den Schaden von rund 18.000 Euro wiedergutgemacht hat.

Ihre mehr als acht Monate währende Tatserie begann im Oktober 2008 im Sozialamt Lichtenberg. Sie habe unter erheblichen finanziellen Problemen gelitten, sagt die Angeklagte: 2000 hatte sie sich mit ihrem Mann ein Haus gekauft, doch der habe 2006 zu trinken begonnen. Darum sei er auch mit seinem Eiscafé gescheitert, sagt sie, die Schulden wuchsen. Obendrein habe er sie misshandelt, einmal habe er ihr das Jochbein gebrochen. Zu den offenen Rechnungen kamen nun noch 6.500 Euro Behandlungskosten.

Karin F. kam auf die Idee, ihre privaten Schulden aus der Bezirkskasse zu begleichen. Sie, die für die Auszahlung von Grundsicherung zuständig war, tat so, als würde sie eine Transferleistung für einen tatsächlich existierenden Hilfeempfänger tätigen. So bezahlte sie nicht nur Ärzte, sondern auch Strom, Gas und Versicherungen.

Auch die Berliner Wasserbetriebe erhielten so ihr Geld. Die dortige Mitarbeiterin wunderte sich über den Absender „Bezirkskasse“. Sie wollte sich bei der angegebenen Telefonnummer erkundigen und wunderte sich erneut: Die Mitarbeiterin des Bezirksamtes trug denselben Namen wie die Grundstückseigentümerin, deren Wasser bezahlt worden war. Sie kontaktierte die Leiterin des Sozialamtes.

Die hat bereits Erfahrungen mit dem Tatbestand der Untreue: Zwischen 2003 und 2005 hatte eine Sachbearbeiterin aus Liebe fast 750.000 Euro aus der Bezirkskasse verschoben. Möglich war dies mit dem Computerprogramm „ProSoz“: In diesem Programm konnte man Fälle erfinden und wieder löschen, ohne in der Akte Spuren zu hinterlassen. Die Sicherheitslücken waren bekannt, mit einem neuen Programm sollten sie behoben werden. Doch als Karin F. die Bezirkskasse erleichterte, wurde das neue Programm erst parallel zum alten benutzt. Der Verteidiger kündigte an, in Berufung zu gehen – nur wenn das Urteil unter einem Jahr bleibt, kann Karin F. vielleicht wieder in den Job zurück. Uta Eisenhardt