„Zu flach für die Skyline“

Das Holocaust-Mahnmal wird eröffnet. Enttäuscht ist ein israelischer Journalist beim ersten Eindruck: Heller, höher, differenzierter hätte es sein müssen – und wird das Richtige „reflektiert“ werden?

VON ASSAF YEHESKELLY

Wir saßen im seichten Gras und blickten auf ein großes Poster, das an einem Gebäude in der Nähe hing: „Der Holocaust ist nie geschehen.“ Nur eine Anti-Nazi-Kampagne, erzählte unser Guide. Bald würden Bulldozer damit beginnen, den Weg hier frei zu machen für riesige Betonstelen. Die Lücke würde dann geschlossen. Die bauliche Lücke im historischen Zentrum Berlins und vielleicht eine Lücke im kollektiven Gedächtnis Nachkriegsdeutschlands.

In einer Gruppe israelischer Journalisten besuchten wir die Gedenkstätte. Unser erster Eindruck: Wow, was für ein schönes Grundstück da ausgesucht wurde! Aber dann zeigte man uns den Rest Berlins, und die Dinge relativierten sich: Zwar liegt die Gedenkstätte genau auf halbem Weg zwischen Ost und West, genau über der Vergangenheit, dem Bunker Adolf Hitlers, aber sie liegt auch viel zu flach, um Teil der modernen Skyline Deutschlands zu sein.

Heute, fünf Jahre später, ist das Holocaust-Mahnmal fertig. Die Menschen können nun zwischen den kahlen Grabsteinen umherwandeln und „reflektieren“. Doch die grauen Klötze sind nur graue Klötze, und da ist kein Weg, der die Besinnung lenkt. Vielleicht geht man dann in das unterirdische Lernzentrum, um weiter zu „reflektieren“. Ich habe Zweifel, dass das Mahnmal ein Brennpunkt für Besucher der Stadt wird. Ich habe Zweifel, dass die Menschen in die richtige Richtung „reflektieren“.

Die Notwendigkeit für ein zentrales Denkmal ist unbestritten. Die Auswahl des Areals – wohl das einzig freie Feld, das noch übrig war – ist verständlich. Aber Peter Eisenmans Konstruktion geht nicht weit genug. Die Touristenbusse fahren von Unter den Linden am Brandenburger Tor vorbei weiter bis zum Reichstag oder Sony Center. Am linken Straßenrand sieht man dann ein dunkles Stelenfeld. „Eine große Gedenkstätte“, wird es vielleicht heißen. Niemand möchte dort anhalten und einen näheren Blick darauf werfen.

Man muss keine wolkenkratzenden Denkmäler im Sowjetstil errichten, aber in einer modernen Zeit muss das Gedenken für jedes Alter attraktiv sein. Attraktiv und leicht zu erschließen. Deswegen ist das Jüdische Museum so erfolgreich. Man kann sich fragen: Gibt es ein besseres Konzept? Darauf weiß ich keine endgültige Antwort. Aber dieses Mahnmal ist kein Fortschritt. Heller, höher, differenzierter hätte es sein müssen.

Eine Mondlandschaft …

In Israel ging letztes Jahr eine lange Debatte über das Holocaust-Gedenken zu Ende. Das neue Museum in Jad Vaschem, hoch auf dem Herzl-Berg gelegen, öffnete seine Türen. 40 Staatsoberhäupter kamen zur Einweihung. Zyniker sagen, Israel habe den ganzen Berg neu aufgeschüttet, nur damit die neue Gedenkstätte imposanter wird als das erfolgreiche Holocaust-Museum in Washington. Ich hatte das Gefühl, dass die Erneuerung notwendig war und in das moderne Zeitalter passt. Hier in Berlin blickt man auf eine Mondlandschaft aus Steinen, auf denen Kinder herumspringen können.

Deutsche Freunde berichten mir immer wieder von der langen öffentliche Debatte über das Mahnmal. So habe die Degussa das Material geliefert, das die Stelen vor Graffiti schützen soll. Daraufhin habe es eine heftige Auseinandersetzung gegeben, weil ein Tochterunternehmen der Firma während des Zweiten Weltkriegs Zyklon B produziert hat. Darüber zu streiten ist für mich genauso nutzlos, wie vom Bundespräsidenten zu erwarten, dass er beim Knesset-Besuch auf seine Muttersprache verzichtet. Wenn es um Versöhnung geht, lasst den Präsidenten deutsch sprechen – er wird das Gedenken an die Toten ehren. Lasst Degussa die Stelen ummanteln – es wird als Metapher für ein modernes Deutschland dienen, in dem niemand die Vergangenheit und die Toten stören darf.

Dann ist da die Frage, wie die Gedenkstätte vor den Rechtsextremen geschützt werden kann. Ein Gesetz durchzubringen, das die Menschen davon abhält, am Mahnmal zu demonstrieren, bekämpft nur die Symptome. Deutschland sollte lieber die Wurzel des Übels bekämpfen: eben die bloße Existenz dieser Gruppen in seiner Mitte.

Ursprünglich hatte das Stelenfeld „ein Mahnmal auch für alle anderen Verfolgten, für die Zigeuner und die Homosexuellen“ werden sollen. Ich habe versucht zu verstehen, wer dagegen war. Die jüdische Gemeinschaft? Die deutsche Regierung? Wenn dies ein zentraler Ort des Gedenkens ist, dann hätte er niemanden außen vor lassen dürfen.

Nach 60 Jahren scheint es, dass der Führerbunker endlich versiegelt ist. Die Menschen, die bis zuletzt darin ausgeharrt hatten, eine Krankenschwester und ein Bodyguard Hitlers, haben in den letzten Wochen Interviews gegeben. Sie erinnerte sich an den Wahnsinn der Eva Braun, er an Goebbels’ Charisma. Für beide war der Führer ein normaler, ein höflicher Chef. Dass sie das sagen können, ohne dafür belangt zu werden, ist ein gutes Zeichen. Dass ich darüber im israelischen Fernsehen berichten kann, ohne zurechtgewiesen zu werden, ist ebenso ein gutes Zeichen.

… die nichts aussagt

Die Deutschen können heute offen über ihr eigenes Leid während des Kriegs sprechen. Das Mahnmal aber wird nur ein untergeordneter Teil des Dialogs sein, weil es nichts aussagt. Die unterirdischen Dämonen werden durch mystische Todeswolken über der Erde ersetzt. Ich würde mir lieber „Der Untergang“ im Sony-Center anschauen oder nur ein paar Schritte die Straße runtergehen, um im Café Einstein einen guten Käsekuchen zu essen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Deutschland sollte für das Errichten eines Mahnmals bejubelt werden. Lea Rosh hat dafür mutig gegen die alten Dämonen angekämpft, und ich bin sicher, dass die Reden von Wolfgang Thierse und anderen aus den TV-Geräten in der ganzen Welt hallen werden. Traurig ist nur, dass das bald vergessen ist.

Wenn ich durch Berlin laufe, stelle ich mir viele Vergangenheiten vor. Die Jugend meines Onkels in der Grenadierstraße. Die Freude, mit der Emil Tischbein, ein Freund, durch Mitte spazierte. Und, ja, die Befehle, die damals von der Reichskanzlei in jede Ecke des Dritten Reichs verbreitet wurden: die Juden zusammenzutreiben und die Endlösung zu vollziehen. Bei meinem nächsten Besuch werde ich mir die Gedenkstätte ansehen. Wird mich wieder eine neue Vergangenheit beschäftigen, wenn ich herauskomme?

Assaf Yeheskelly, 32, ist Journalist beim israelischen TV-Sender Channel 2 und lebt in Tel Aviv