Riesinnen-Rouge und roter Faden

KUNSTVEREIN Mit der neuen Ausstellung wird allmählich klar, wo der neue Direktor des Hamburger Kunstvereins hin will: Er will ein experimentelles Forum für Kenner und Liebhaber schaffen

Gefällige Events und gut handhabbare Objekte sind die Sache des neuen Direktors nicht

Der große obere Raum des Hamburger Kunstvereins sieht derzeit aus wie neu geschminkt. Die große, apricotfarbene Fläche auf dem Boden wirkt, als hätte eine Riesin ihr Rouge mit dem Puderpuschel darüber gestäubt. Für einen freundlichen, etwas provisorischen Teint sorgen einige pinkfarbigen Papiere sowie andere schwebende Plastiken, die in die verstreuten anderthalb Tonnen englischen Gipses eingearbeitet sind.

Die schottische Künstlerin Karla Black arbeitet sonst gern mit selbst genutzten Kosmetikmitteln und Haushaltsreinigern. In die Ausstellung des Hamburger Kunstvereins hat sie eine leichte, bewusst weibliche Note gebracht. Ihre Aufgabe war, sich mit den vorgefundenen Arbeiten von Kostis Velonis aus der bisherigen Ausstellung zu arrangieren – das schreibt das diesjährige „Konzept des additiven Ausstellungsformates“ vor. Die Idee dabei ist, in immer wieder neuen Zusammenhängen frische Bedeutungen zu generieren.

Doch es schadet nicht, wenn die Betrachter schlauer sind als die Kunst: Sowohl die verschobenen und neu arrangierten Zitate einstiger Agitprop-Kunst, die Kostis Velonis für das ganze Jahr im Kunstverein abgestellt hat, wie die hängende Raumteilerskulptur aus weiß angestrichenem Malerpapier von Karla Black bieten genügend Plattformen und Projektionsflächen, um utopische Gedanken ausschweifen zu lassen. Tatsächlich wird der kunstmöblierte Raum auch öfter für Vorträge und Symposien genutzt.

Wenn auch eher spät und langsam, beginnt sich inzwischen abzuzeichnen, was der neue Direktor des Kunstvereins, Florian Waldvogel, will: Ein experimentelles Forum, in dem aktuelle Möglichkeiten der Kunst und der Theorie für einen Kreis von Kennern durchgespielt werden. Zwar soll dieser Kreis durch besondere Veranstaltungen erweitert und die Zahl der Mitglieder durch die Kooperation mit einem Herrenausstatter vergrößert werden, doch gefällige Events und gut handhabbare Objekte sind Waldvogels Sache nicht.

Dass sein Wunsch ein experimenteller Kunstverein ist, der sich auch durch Unverständnis nicht vom Weg abbringen lässt, zeigt der kleine Raum des „Lebendigen Archivs“: Hier wird ganz im Sinne eines traditionellen Begriffs von Avantgarde diesmal der 70er Jahre gedacht, als Uwe M. Schneede den Kunstverein skandalös umkrempelte. Das lebendige Vorbild wird zur Finissage des jetzigen Ausstellungsteils am 9. September über die Erfahrungen jener Zeit berichten.

In der zweiten Ausstellung im Erdgeschoss sind zwar Fäden gespannt, aber kein Ariadnefaden verbindlicher Kunsterkenntnis. Vielmehr vagabundiert der rote Faden als nervöser Loop mit etwa 13.000 Umdrehungen durch den Raum, bildet wie ein auf Hochtouren gebrachtes Lasso ein Oval, wo er kann, und schmiegt sich leicht ruckelnd der Wand an, wo esr muss.

Die simple, aber beeindruckende Maschine mit dem Titel „Schnur 2“ stammt vom jungen Münchner Akademiestudenten Marcel Tyroller. Seine dynamische, raumgreifende Geste, deren Handschrift fast schon sprayermäßig wirkt, ist überzeugend kombiniert mit einer Gruppe von sieben unsichtbar befestigten farbigen Fäden, die ganz ephemer wie eine Zeichnung senkrecht im Raum stehen. Diese Arbeit von 1987 stammt vom fast dreißig Jahre älteren Fred Sandback. Sie liest sich hier wie ein klarer und völlig in sich ruhender Verweis des 2003 verstorbenen US-amerikanischen Meisters auf die ganz unaufgeregten, grundlegenden Formanalysen der Minimalisten. Im fast musealen, klassischen weißen unteren Ausstellungsraum entsteht so ein schöner Werkdialog über die Generationen. HAJO SCHIFF

Bis 6. 9. im Hamburger Kunstverein, Klosterwall 23, Di–So 12–18 Uhr. So 6. September, 12 Uhr: „Unter vier Augen“, Florian Waldvogel im Gespräch mit Uwe M. Schneede