AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON RENÉ HAMANN
: Sommer der Liebe, Sommer der Entsagung

NAMEN SIND WIE SCHALL UND RAUCH. AUSSER, SIE WERDEN AUF DIE HAUT TÄTOWIERT. DANN KANN DAS VERGESSEN GANZ SCHÖN HEIKEL WERDEN

Es ist August. Es sind heiße Tage und linde Nächte. Öffentlich nicht relevante Menschen schwebten über die Tanzfläche. Freunde und Bekannte zogen in den Flughafen und hörten Peter Doherty und Jarvis Cocker zu. Am Ufer des Landwehrkanals spazierten Gruppen, nicht nur Paare, manche waren als Mönche verkleidet und redeten in fremden Zungen.

Freunde feierten sich in Bars oder auf dem heimischen Balkon, wieder eine Ziffer mehr, wieder ein Jahr mehr. Aber alle steuern weiter durch das wilde Leben auf den Tod zu. Man stand oder saß draußen, auf Bierbänken vor Restaurants, auf Campingstühlen auf dem Balkon, auf Gras, auf Steinen, auf der Bordsteinkante. Ein Taxi sah für einen Moment wie ein Peterwagen aus, war aber nur ein Taxi.

Jemand erzählte Geschichten von Tätowierungen. Ein Mann und eine Frau haben sich, als sie frisch ineinander verliebt und ein Paar waren, gegenseitig die Namen des beziehungsweise der Anderen auf den Arm tätowieren lassen. Auf den Arm des Mannes Maria, auf den Arm der Frau Hans.

Das Glück währte nicht lang. Nach der grausam verlaufenen Trennung beschloss Hans, die Maserung zu behalten und nach einer anderen Maria zu suchen.

Die erste Maria, die er fand, hatte ihn betrogen, sie hieß in Wirklichkeit Sara; die zweite hatte einen anderen Männernamen auf den Schulterblättern tätowiert; die dritte interessierte das alles gar nicht und verließ ihn nach drei Nächten für jemanden, der Otto hieß. Hans verliebte sich danach in eine Andrea, in eine Melanie und in eine Franka, jeweils ohne Fortune, und als er es mit der Liebe aufgeben wollte, lernte er eine Marianne kennen. Vor ihrer ersten Nacht verband er sich die Tätowierung – und zum einjährigen Jubiläum hatte er sich drei Buchstaben hinzufügen lassen.

Maria hingegen wollte sich die Tätowierung entfernen lassen und wurde auf dem Weg zum Nadelstudio von einem Lkw erfasst. Sie verlor einen Arm – den mit der Tätowierung. In einer Versehrtenwerkstatt lernte sie einen jungen, attraktiven Pfleger kennen. Er hieß Hans.

Ein Rücken wie ein Buch

Andere Menschen hatten sich die Mondlandefähre tätowieren lassen. Sputnik. Das gesamte Sonnensystem. Die chemische Formel für Ketamin. Ein Mann begann, sich die Namen seiner Liebhaber auf den Rücken schreiben zu lassen. Eine Zeit lang war er im Nadelstudio recht häufig gesehen. Sein Rücken las sich allmählich wie ein Telefonbuch.

Mit Namen ist das so eine Sache. Manchmal schreibt man einen ausgedachten Namen irgendwohin und es fühlen sich die Falschen gemeint. Manchmal ist der Name der richtige, aber der oder die Namentliche möchte gar nicht erwähnt werden. Manchmal reagieren die Gemeinten über und schneiden den Schreiber daraufhin. Manchmal hilft nichts.

Aber es ist August, ein schöner Monat, und in zwei Wochen habe ich selber Geburtstag. Der August wurde nach dem römischen Kaiser Augustus benannt. Vorher hatte der Monat Sextilis geheißen, weil er nach alter Kalenderschreibung der sechste Monat war. Den Namen können manche nachvollziehen – besonders die, die gerade den Sommer der Liebe erleben – und manche nicht. Für sie ist der August der Tiefpunkt in einem dummen Sommer der Entsagung. Aber der Sommer ist ja noch nicht zu Ende.

Schwierig sind auch Bilder. Fotos. Ich weiß, dass sich eine Kollegin gegen diesen in dieser Zeitung umgreifenden Abbildungswahn wehren wollte. Kaum ein Schreiber, kaum eine Schreiberin kommt noch unabgebildet mit ihrem oder seinem Text davon.

Jetzt kann jeder sehen, wer hinter den Kolumnen steckt. Jetzt kann man auf der Straße wiedererkannt, bewundert oder angeschnauzt werden. In aller Öffentlichkeit. In der wir uns ja inzwischen alle befinden, in dieser transparenten, postheroischen, postprivaten Gesellschaft.