Grausame Schönheit

BUNDESLIGA Das spektakuläre 3:3 zwischen dem VfL Bochum und Borussia Mönchengladbach hinterlässt beide Mannschaften gleichermaßen ratlos

BOCHUM taz | Manchmal ist es eine seltsame Sache mit dem Fußball. Als Duell zweier grauer Mäuse angekündigt, wurde die Partie zwischen dem VfL Bochum und Borussia Mönchengladbach ganz unverhofft zum späten Höhepunkt des ersten Bundesligaspieltags. Sechs Tore, ein völlig verrückter Spielverkauf, am Ende stand es 3:3, doch richtig glücklich war nach dem Abpfiff nur die kleine Minderheit der neutralen Beobachter des Spektakels. „Das war heute ein echtes Fest für Fußballfans“, sagte Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl und fügte schnell an: „Allerdings nicht, wenn man Anhänger der Borussia ist.“ Gleiches galt für den Gegner, Bochumer und Gladbacher schlichen am Ende gleichermaßen ratlos aus der Arena, auch Schönheit kann grausam sein.

Die Fans des VfL Bochum zeigten nämlich schon nach 26 Minuten dieser frischen Fußballsaison Symptome, die normalerweise irgendwann im Herbst auftreten. Wenn der Alltag grau und die Tabelle bedrohlich wird, wenn das Wochenende immer neue Niederlagen bereithält. „Wir haben die Schnauze voll!“ und „Wir wollen euch kämpfen sehen!“, hatten die Leute gerufen, die Gesichter waren wutverzerrt. Eineinhalb Stunden nach dem Spiel war es dann Gladbachs Verteidiger Tobias Levels, der von einer „gefühlten Niederlage“ sprach, es war verwirrend. Rund 50 Minuten lang hatten die Gladbacher den VfL auseinandergespielt, die Neuzugänge Thorben Marx, Raul Bobadilla und Juan Arango wirbelten wie die Helden eines international ambitionierten Spitzenteams, nach 40 Minuten führten sie völlig verdient mit 3:0 (Arango, 19., Colautti, 26., Brouwers, 40.). „Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey“, sang die weiße Wand hinter dem Gladbacher Tor.

Michael Frontzeck sprach später von einer „fast perfekten ersten Halbzeit“, die hohe Führung sei ja „kein Zufallsprodukt“ gewesen, „so stelle ich mich mir das vor“, erklärte der Mönchengladbacher Trainer. Die mitreißende Vorstellung lud tatsächlich zum Träumen ein, endlich einmal scheinen die Gladbacher in einer Sommerpause richtig gute Fußballer verpflichtet zu haben. Fatalerweise haben sich aber auch die Profis vom Niederrhein diesen Fantasien hingegeben, sie brachten nämlich eine gehörige Portion Fahrlässigkeit mit in die zweite Hälfte. „Wenn dir in der Halbzeit alle Leute entgegenkommen und dir sagen: ‚Super, Klasse und jetzt macht das 4:0‘, das ist scheiße“, sagte Gladbachs Sportdirektor Max Eberl, „Fußball ist 90 und nicht 45 Minuten“.

Dennoch wäre wohl ohne den magischen rechten Fuß von Mimoun Azaouagh nicht mehr viel passiert an diesem Nachmittag. Doch Azaouagh gelang innerhalb von 48 Sekunden zweimal das identische Tor; als würden die Spieler die Wiederholung im Fernsehen nachstellen, sah das aus. Stanislav Sestak legte ab, und Azaouagh zirkelte den Ball jeweils aus rund 20 Meter Entfernung in den rechten Torwinkel. „So etwas habe ich in vielen Jahren in der Bundesliga selten erlebt“, sagte Frontzeck, ehrlicher wäre wohl gewesen: „noch nie erlebt“.

Es waren 48 Sekunden, die in die Kategorie „Fußball, verdammter Wahnsinn“ gehören, und um das Drama zu vollenden, gab’s natürlich noch eine Rote Karte (Dante, 60.), den irgendwann völlig verdienten Ausgleich (Sestak, 63.) und lauter ratlose Protagonisten. Beide hatten eine großartige und eine grauenvolle Halbzeit gespielt, wo liegt nun die Wahrheit? „Wir haben in diesem Jahr noch mehr Biss“, wollte Bochums Sportdirektor aus dem Spiel gelesen haben, und Levels meinte: „Wir haben in der ersten Halbzeit eine Menge Positives gesehen, was wir mitnehmen können.“ DANIEL THEWELEIT