Brüssel trennt Schlaf von Arbeit

EU-Parlament entscheidet morgen, ob Bereitschaftsdienst echte Arbeitszeit sein soll

BRÜSSEL/BERLIN taz ■ Während in Deutschland der Protest der Ärzte anhält, zerbrechen sich auch die Politiker in Brüssel den Kopf über die Arbeitszeit in Krankenhäusern. Der Bereitschaftsdienst von Ärzten, Pflegern, aber auch zum Beispiel von Feuerwehrleuten ist einer der Hauptstreitpunkte bei der Arbeitszeitrichtlinie, über die heute im EU-Parlament diskutiert wird.

Strittig ist, ob die Bereitschaftszeit vollständig als Arbeitszeit angerechnet werden soll oder nicht. Die Europäische Kommission schlug im September 2004 vor, nur die Zeitspannen zu berücksichtigen, in der der Arbeitnehmer tatsächlich aktiv ist – also der Arzt den Patienten behandelt oder der Feuerwehrmann einen Brand löscht. Der übrige Bereitschaftsdienst würde demnach nicht als Arbeitszeit angerechnet und somit geringer bezahlt. Außerdem würden die „nicht aktiven“ Zeiten auch nicht in der zulässigen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche berücksichtigt.

Unterstützung für dieses Modell bekommt die EU-Kommission von den Mitgliedsstaaten und der konservativen EVP-Fraktion im Parlament. „Wir halten diesen Vorschlag mit der Unterteilung in aktive und inaktive Zeit für sehr sinnvoll“, sagt die CDU-/EVP-Sozialpolitikerin Anja Weisgerber. Eine volle Anrechnung des Bereitschaftsdienstes sei für die Kliniken unbezahlbar, meint die Abgeordnete. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft rechnet für diesen Fall mit einem Mehraufwand von rund 1,7 Milliarden Euro. Über 20.000 Ärzte und Pfleger müssten eingestellt werden, um einen Schichtbetrieb ohne Bereitschaftsdienst zu garantieren.

„Außerdem ist es nicht normal, dass ein Feuerwehrmann, der während seiner Bereitschaftszeit auch ins Fitnessstudio gehen oder schlafen kann, dafür voll bezahlt wird“, meint Anja Weisgerber. Sie schlägt vor, pauschal für jeden Berufstyp nur eine gewisse Zeit des Bereitschaftsdienstes voll anzurechnen. Außerdem sollte es Aufschläge für den Qualitätsverlust der Freizeit geben. „Der Arzt kann schließlich nicht sofort wieder einschlafen, wenn er von einem Patienten zurückkommt.“

Ganz anders sehen das die Europa-Abgeordneten von Grünen und Sozialdemokraten. Sie stützen sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der 2003 entschied, Bereitschaftszeit sei keine Ruhezeit. Das hatte die Revision der Richtlinie notwendig gemacht. In seinem Bericht, der auch die Zustimmung der Sozialausschuss-Mehrheit fand, schlägt der Sozialdemokrat Alejandro Cercas vor, den gesamten Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anzurechnen – mit einzelnen Ausnahmen. „Die Revision der Arbeitszeitrichtlinie darf vor allem nicht den Gesundheits- und Arbeitsschutz der Arbeitnehmer verschlechtern“, sagt die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Schroedter.

Wenn die Brüsseler Abgeordneten morgen entschieden haben, geht die Richtlinie wieder zurück an die Mitgliedsstaaten. Sollten sich Rat und Parlament nicht einig werden, gibt es ein Vermittlungsverfahren.

RUTH REICHSTEIN, UWI