Performer im Garten

BUCHPREMIERE Die Spur des Lachens: Heute stellt F. C. Delius in der Akademie der Künste sein autobiografisches Buch „Als die Bücher noch geholfen haben“ vor, ein kleines Museum des Literaturbetriebs Westberlins

Ein deutsch-deutsches Blödeln wider den Ernst der Mauer – das war ziemlich dissident

VON DIRK KNIPPHALS

Am Anfang wird viel gelacht in dem neuen Buch von F. C. Delius, in dem der Büchnerpreisträger des vergangenen Jahres autobiografisch von seinen frühen Jahren erzählt. Die Spur dieses Lachens zieht sich durch die geschilderten Lebensstationen hindurch, die von der Gruppe 47 bis zur Gründung des inzwischen legendären Rotbuch-Verlages, von den 68er-Ereignissen bis zu deutsch-deutschen Mauerunterwanderungen reichen – und dieser Spur zu folgen ist ein interessanter Seiteneinstieg in „Als die Bücher noch geholfen haben“.

Gelacht wird zunächst von solchen Menschen wie Hans-Magnus Enzensberger und Günter Grass, Wolfgang Neuss, Uwe Johnson und – „meinen beiden wichtigsten westlichen Lach- und Lehrmeistern“ – Klaus Wagenbach und Walter Höllerer. Es ist eine illustre Runde also, in die der junge, gerade einmal in seinen frühen Zwanzigern stehende Nachwuchsdichter F. C. Delius hineingerät, oder man kann auch sagen, in die er sich mit Fleiß, etwas Glück und Chupze hineinarbeitet. Spielerisch sei es damals zugegangen, schreibt Delius: „Ich wage sogar die Behauptung: Leitkultur im Berlin der vorachtundsechziger Zeit war das Lachen.“ Für Nachgeborene, die diese Zeit nur aus dem Deutschunterricht kennen, ist das gut zu wissen. Es macht die Nachkriegsliteratur heiterer.

Mit 68 hörte für Delius dieses Lachen auf. Aus literarischen Versuchsballons wird Ernstdiskurs, aus einer Grundinfizierung mit romantischer Ironie die Agitation zur Tat. Beim politischen Aufbegehren ist Delius, wie zuvor im Literaturbetrieb, als akzeptierte Randfigur dabei. Auf einer Demo in London schmeißt er einen Pflasterstein, erschrickt dann aber gleich über sich; beim linken Freizeitgekicke mit Rudi Dutschke spielt er in der Verteidigung, will sich aber von den Politfraktionen nicht vereinnahmen lassen. Entscheiden muss er sich dennoch. Beim Wagenbach-Verlag, wo er als Lektor arbeitet, verhärten sich die Fronten zwischen Politaktivisten und undogmatischen linken Literaturverehrern wie Delius.

Wie identitätsprägend diese Auseinandersetzungen waren, spürt man noch heute beim Lesen, etwa in der Art und Weise, wie F. C. Delius sich noch 40 Jahre später an dem Verleger Klaus Wagenbach abarbeitet, der ihn erst protegierte und sich dann in Delius’ Verständnis eine Zeit lang allzu eindeutig auf die linksdogmatische Seite schlug. Wagenbach ist die in diesem Buch am ambivalentesten gezeichnete Figur. Auf ihn bezogen schreibt Delius: „Der Literaturenthusiast und ‚Tintenfisch‘-Herausgeber, wünschte ich, werde letztlich stärker sein als der Verteidiger der entsetzlichen RAF-Sprache und Verehrer der Meinhof.“

Aber es kommt zum Bruch. F. C. Delius macht bei der Kollektiv-Gründung des Rotbuch-Verlags mit, der dann lange Zeit erfolgreich operierte und Autoren wie Peter Schneider, Ronald M. Schernikau, Feridun Zaimoglu und, natürlich, Heiner Müller durchsetzte. Der „Tintenfisch“ war übrigens ein noch bis 1987 im Wagenbach-Verlag erschienenes Jahrbuch für Gegenwartsliteratur; ein kleines Museum des Literaturbetriebs Westberlins ist das Buch auch.

Stolz auf den Rotbuch-Verlag

Auf diese Rotbuch-Gründung ist Delius stolz, das merkt man beim Lesen. Tatsächlich verdankt der politische Diskurs diesem Verlag viel, osteuropäische Dissidenten fanden hier eine publizistische Heimat, später verlegte man Theoretiker wie Michael Walzer. Und er ist auch ein gutes Beispiel für die linksalternative Projektemacherei, die in den Siebzigern auf breiter Front losging (und später bis zur taz führte).

Das Lachen kommt in dem Buch aber an anderer Stelle wieder. Als Lektor fährt Delius häufig nach Ostberlin, um auf dem Rückweg unter dem Pullover brisante Manuskripte in den Westen zu schmuggeln. Bei diesen Ostberliner Gesprächen muss wieder viel gelacht worden sein, Günter Kunert und Wolf Biermann taten sich offenbar besonders lautstark hervor. In Günter Kunerts Garten entstanden zudem in dem Buch abgedruckte selbstironische Fotos, die einen bis heute verblüffen können. Tatsächlich war das eine Unterwanderung der Mauer der besonderen Art: Dem Ernst der Mauer ein deutsch-deutsches Blödeln entgegenzusetzen – das war tatsächlich ziemlich dissident.

Heute Abend: Buchpremiere von F. C. Delius’ Erinnerungen in der Akademie der Künste. Rowohlt Berlin Verlag, 304 Seiten, 18,95 Euro