Ein unauffälliges Gesicht

Marc Hoffmann hat gestanden, zwei Kinder missbraucht und getötet zu haben. Im Prozess vor dem Landgericht Stade verweigert er jede weitere Stellungnahme – und macht sich so zum Gegenstand medialen Deutungsfurors

von Benno Schirrmeister

Das da also ist der Böse. Ein doppelter Kindsmörder, vielleicht ein echter Serien-Täter. Die Kameras drängen sich vor Prozessauftakt, trotzdem das Gesicht nur verfremdet gezeigt werden darf, so hat es der Richter verfügt. Der „Bild“ ist das schnurz, und sie wird neben den großen Kopf rot unterstrichen in weißen Lettern die Worte „fette Bestie“ setzen, um knapp darunter die barbarischsten Momente des Tathergangs aus der Anklageschrift zu zitieren.

Aber auch ein schwarzer Balken schützt vor Physiognomik nicht: Die von langen Wimpern beschatteten Augen wirken auf den einen Journalisten stumpf, ein anderer Reporter will etwas in dem Gesicht mit den markanten Geheimratsecken und den scharf gezeichneten Brauen gelesen haben: „Da steht was im Gesicht geschrieben“, raunt er seinen gutbürgerlichen Lesern zu, verschweigt aber, was.

Im Januar hat Hoffmann gestanden, im vergangenen Jahr Levke S. und Felix W. entführt, sexuell missbraucht und erdrosselt zu haben. Zwei achtjährige Kinder. Am Montag hat der Prozess gegen den 31-Jährigen begonnen, und das Stader Landgericht hat seine liebe Not mit den Medienvertretern: Der Schwurgerichtssaal ist mit 60 Zuschauerplätzen deutlich zu klein, sich einen größeren Raum zu suchen, hat man versäumt. Die Mikrofonanlage muss gerichtet und nachgerichtet werden, da hat der Prozess schon begonnen: Erst lässt sie sich nicht ausschalten. dann werden die Statements nicht verstärkt. Der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp drückt nervös auf die Schalter, ruft den Techniker zu Hilfe. Hoffmann scheint zu lächeln.

Möglich, dass das große Publikum Appelkamp verunsichert. Einer der drei Polizisten, die am ersten Verhandlungstag in den Zeugenstand treten, bittet ihn schließlich, doch überhaupt eine Frage zu stellen, um der Aussage eine Richtung zu geben. Obwohl die Zeugen mitunter schwammig bleiben, hakt er nur selten nach: Das erledigen dann die Vertreter der Nebenkläger. Einmal schrammt Appelkamp knapp vorbei an einem Verfahrensfehler. Er muss die Zuschauer, kurz nachdem er sie aus dem Saal gebeten hat, weil über den Antrag über Ausschluss der Öffentlichkeit nichtöffentlich verhandelt werden muss, wieder herein rufen – er hat vergessen etwas mitzuteilen.

Aber auch die Presse hat so ihr Problem: Der spröde juristische Realismus reicht den wenigsten Berichterstattern. Mit heiligem Zorn wird notiert, dass der Verteidiger seine Pflicht tut. Dass er die Möglichkeit auslotet, auf verminderte Schuldfähigkeit zu plädieren, obwohl das psychiatrische Fachgutachten davon nichts wissen will und auch die Nebenkläger hier energisch widersprechen würden.

Eine Empörung macht sich Luft, als müsse anhand dieses Falles exemplarisch bewiesen werden, dass Deutschland im allgemeinen und im besonderen seine Presse im Grunde doch kinderfreundlich ist. Der Angeklagte gerät zur Projektionsfläche. Man spricht ihm das Menschsein ab. Das vergrößert den Abstand, so hält man ihn sich vom Leib, den zweifachen Vater mit dem Allerweltsnamen und dem unauffälligen Gesicht.

Aber es ist auch so: Der spröde Realismus der Fachbegriffe relativiert die Tat. Juristisch zu verhandeln sind zwei von neun Morden, die im Jahr 2004 im Land Niedersachsen begangen wurden. Das hieße sie einordnen in den Alltag. Und das wäre falsch. Die Tat erschöpft sich nicht darin, ein Verbrechen zu sein. Sie ist verstörend. Sie lässt sich nicht aus verheerenden Fehlern in der Sozialisation des Angeklagten erklären, nicht restlos, auch wenn sie in einer vertrackten Kindheit wurzelt. Sie ist böse. Etwas als böse zu bezeichnen, so schreibt die Philosophin Susan Neiman, „bringt zum Ausdruck dass es unser Vertrauen in die Welt erschüttert“.

Vor dem Stader Landgericht bleibt es am Montag Staatsanwältin Anja Demke überlassen, den schrecklichen Tathergang, gestützt auf die polizeilichen Vernehmungsprotokolle, bestätigt durch gerichtsmedizinische Gutachten, mit sanfter Stimme vorzutragen. Dass Hoffmann die allein auf der Straße vor dem Elternhaus in Cuxhaven-Attenwalde stehende Levke S. am 6. Mai 2004 in seinen Honda gelockt habe, indem er ihr erzählte, die Mutter hätte einen Unfall gehabt. Dass er mit ihr weggefahren sei, sie missbraucht, sie aus Angst vor der Entdeckung getötet und sie schließlich bei Attendorn im Sauerland, gut 200 Kilometer weit enfernt, verborgen habe. Dass er am 30. Oktober 2004, am Tag als der Leichnam entdeckt wurde, das gleiche dem kleinen Felix W. aus Neu-Ebersdorf bei Rotenburg angetan habe, dessen Körper er danach, verschnürt, in einen Plastiksack gewickelt, nahe Bremerhaven ins Flüsschen Geeste warf.

Pflichtverteidiger Jost Ferlings antwortet darauf für seinen Mandanten, er räume die Vorwürfe vollumfänglich ein. Eine dürre Erklärung, ergänzt durch befremdliche Relativierungen: Dass Hoffmann „mit einigem Entsetzen“ vor seinen Taten stehe, trägt der Anwalt noch vor. Und, dass die Erklärung den Eltern der Opfer die Schilderung weiterer Einzelheiten ersparen solle. Guter Wille?

Man darf zweifeln: Direkt anschließend kündigt Ferlings an, sein Mandant werde sich im gesamten Prozess nicht mehr äußern. Kein Wort ans Gericht. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob die Erklärung von ihm stamme, nickt er bloß. Kein Wort an die Eltern, geschweige denn eine Antwort auf das Warum. Aber wie könnte die auch lauten?

Die Nebenklägertische sind dem Geständigen gegenüber postiert, direkt vorne sitzt, sekundiert von Anwältin Sonja Briesenick, das Ehepaar S., das sich entschieden hat, das gesamte Verfahren persönlich mitzuverfolgen: Gestern trat Levkes Mutter selbst in den Zeugenstand (siehe nebenstehender Bericht). Es scheint, als versuche Hoffmann, selbst ihren Blicken auszuweichen: Er sitzt weit vorgebeugt da, mit krummem Rücken. Und immer wieder verschwindet sein Kopf unter der Brüstung der Angeklagten-Box, immer wieder verdeckt er den Mund mit der Hand. Wer mag, kann das als Zeichen eines schlechten Gewissens deuten. Genauso gut kann es aber auch eine übliche Körperhaltung sein, irgendwann angewöhnt und Hoffmann längst zur Natur geworden.