„Das gehört nicht in ihre Zeit“

Entlarvender Fehler beim Bremer Anzeiger: Ein Foto von Zwangsarbeitern aus dem Jahr 1943 wurde als Bild befreiter Bremer nach dem Krieg bezeichnet. Auch das Büro „Bremen 2010“ hat das Bild falsch datiert. Experte: Solche Fehler werden mehr

bremen taz ■ Unter der Überschrift „60 Jahre Kriegsende“ erschien an diesem Sonntag, dem 8. Mai, das Anzeigenblatt Bremer Anzeiger mit einem Bild von der zerstörten Bremer Innenstadt auf der Titelseite. Man sieht Menschen Schutt schippen. Im Untertitel steht: „Vor 60 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Auch in Bremen krochen die Menschen verstört aus den Kellern – verstört, aber befreit.“ Die Menschen allerdings, die auf dem Foto vermeintlich „verstört, aber befreit“ in den Trümmern graben, sind nicht die Bremer nach Kriegsende, wie der Untertitel suggeriert, sondern Zwangsarbeiter und als solche gut zu erkennen durch ihre gestreiften Kleider und Mützen. Das Foto zeigt nicht das Kriegsende, sondern Bremen nach dem 122. Bombenangriff, am 20. Dezember 1943. „Ein wirklich peinlicher Fehler“, sagt dazu nicht nur der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, Herbert Wulfekuhl, sondern auch zahlreiche LeserInnen, die sich über die entstellende Bildunterschrift beschwerten. Der Bremer Anzeiger bedauert den Fehler sehr: „Die Redaktion entschuldigt sich für die fehlerhafte historische Einordnung des Bildes“, sagte gestern Redaktionsleiter Jens Tittmann, „falls wir Menschen damit verletzt haben, so lag das nicht in unserer Absicht.“

Nicht nur der Bremer Anzeiger hat das Bild falsch datiert, auch auf der Internetseite des für die Kulturhauptstadtbewerbung zuständigen Büros „Bremen 2010“ ist dasselbe Bild als „zerstörtes Bremen nach dem Krieg“ bezeichnet. Beide, Anzeiger und Kulturbüro, haben das Bild von der Domgemeinde bekommen, die es der Presseinformation über ihre Gedenkwoche zum Kriegsende beigefügt und dabei aber richtig datiert hatte.

Wie kann es passieren, dass ein Foto von Zwangsarbeitern im zerstörten Bremen als Bild vom Kriegsende durchgeht? „Es gibt ja den Effekt, dass man sieht, was man zu sehen glaubt“, sagt Karin Puck vom Kulturbüro und klingt etwas ratlos. Zu sehen glaubte sie offenbar ein Bild vom Kriegsende, schließlich erreichte es sie in diesem Zusammenhang.

„Angesichts langsam schwindender Kenntnisse werden wir mit solchen Fehlern in Zukunft wohl rechnen müssen“, sagt Herbert Wulfekuhl von der Landeszentrale für politische Bildung, der diesen Schnitzer für „besonders schmerzlich“ hält. Der inzwischen drei Generationen umfassende Zeitabstand zum Geschehenen, das Umgebensein von zu vielen Medieneindrücken, nicht zuletzt „eine gewisse Gleichgültigkeit“ sind für Wulfekuhl die Faktoren, mit denen Erinnerungsarbeit es künftig zu tun haben wird.

Das Foto, das in diesen Tagen für Empörung sorgt, wurde aufgenommen von dem Fotografen Walter Cüppers, der im Auftrag des Senats die Kriegsschäden dokumentierte. Ein Zeitzeuge beschreibt die vorangegangene Bombennacht des 20. Dezember 1943 so: „Es waren gestern über 400 Flieger. Ganz gleich, wo man hinsieht, da brennt es auch noch heute morgen, dazu kein Wasser, kein Licht, kein Gas. Man glaubt gar nicht, welch ein fürchterliches Gefühl es ist, von 4 1/2 Uhr an im Dunkeln zu sitzen (...).Wie man da verzweifelt, kann ein anderer gar nicht nachfühlen.“ Die Ängste im Bunker, die dieser Bremer so eindrücklich beschreibt, mögen verblassen angesichts dessen, was Zwangsarbeitern zugemutet wurde: „Als Kriegsgefangene hatten sie keinen Zugang zu den Bunkern, mussten in Splittergräben notdürftig Schutz suchen und oft auch bei Alarm weiterarbeiten“, heißt es in einer Dokumentation des Staatsarchivs über das Schicksal von Zwangsarbeitern in Bremen. Hier, im Staatsarchiv, sind die Fotos von Walter Cüppers archiviert. „Sehr sichtbar“ findet Melitta Thomas, die Leiterin der Bildstelle, die Zwangsarbeiter auf dem Bild. Dass die Redakteure des Anzeigers dennoch nicht registrierten, was dort geschieht, sondern nur die Trümmer als Symbol fürs Kriegsende wahrgenommen haben, erklärt sie sich so: „Das ist ihnen nicht präsent, das gehört nicht in ihre Zeit.“ sgi