Ethik und Ästhetik

Ein Symposium des Designmai sucht nach einer politischen Sicht auf die Welt der schönen Dinge. Nicht Objekte, sondern Lebens- und Arbeitsbedingungen sollen verantwortlich gestaltet werden

„Bei steigender Armut weltweit sind schöne Dinge nicht mehr das Nonplusultra“

VON WALTRAUD SCHWAB

Was ist ein Hotelzimmer ohne Minibar? Was sind zwei neue Pullover, die aus zwei alten entstehen? Was ist eine vertikale Säule, auf der Gemüse angepflanzt ist? Die Antwort ist simpel: Es handelt sich um einfache Ideen, die dennoch neue Denkrichtungen im Design vorgeben. Und zwar nur drei von vielen, wie auf dem Symposium des diesjährigen Designmai zu erfahren war, das den richtungsweisenden Titel „Blueprints of tomorrow – Blaupausen von morgen“ hatte.

„Seit jeher nutzten Menschen ihre Kreativität, Intelligenz und Beharrlichkeit, um Grenzen, die ihnen Natur oder kultureller Hintergrund vorgeben, zu überwinden“, ist der Leitsatz der Veranstaltung. Auf dem Symposium wurde allerdings nicht dem nachgespürt, was alles möglich ist, sondern dem, was gesellschaftlich verantwortlich ist. Denn DesignerInnen komme, so die übergeordnete These, im Prozess des derzeitigen sozialen Wandels eine größere Rolle zu als nur jene des formalen, objektbezogenen Gestaltens.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen, in denen sich die Arbeitsgesellschaft verändert, in denen Menschen zu internationalen Nomaden werden, in denen Armut zu und der Zugang vieler zu den elementaren Lebensvoraussetzungen – Wasser, Luft, Nahrung – abnimmt, gehe es für DesignerInnen nicht mehr nur um die Gestaltung von neuen Produkten. Auch die Gestaltung neuer Lebens- und Arbeitsbedingungen und deren Zusammenhänge falle ihnen nun zu. „Entweder Katastrophe oder eine humanere Kultur“, das sei der Scheideweg, an dem die Menschheit derzeit stehe, wie Frithjof Bergmann, Philosophieprofessor an der Universität Michigan und Hauptredner des Symposiums, sagte.

Wo Ressourcen immer geringer werden, werde versucht, so eine der Thesen, neue zu erschließen: Neue Materialien, die neuen Aufgaben gerecht werden. Neue Lebensräume, die dem Siedlungsdruck nachgeben, neue Computer, die alte Produktionstechniken ersetzen bis hin zum neuen Menschen. Ob all diese Erweiterungen von Räumen, Zusammenhängen, ja gar dem Menschsein zu einer Erweiterung der Lebensqualität führen, ist eine Frage, der sich DesignerInnen der Zukunft stellen müssen. Ethik oder Ästhetik – bei den Vorträgen blieb dies nicht nur Wortspiel.

Jahrelang waren es Künstler und Künstlerinnen, die die Zusammenhänge zwischen Kunst und Politik thematisierten. Vorausgesetzt, das Symposium auf dem Designmai ist richtungsweisend, dann lässt sich ein Wandel feststellen: Nunmehr sind es die Designer, die ihr Tun in einen politischen, ja sogar radikal gesellschaftskritischen Kontext stellen. Bei zunehmender Zerstörung der Umwelt und steigender Armut weltweit sind schöne Dinge nicht mehr das Nonplusultra. Da die Welt der Objekte direkter in die Lebenszusammenhänge von Menschen eingreift als die Welt der Kunst, stehen jene DesignerInnen, die den Auftrag, zu einer humaneren Kultur beizutragen, ernst nehmen, allerdings vor beträchtlichen Herausforderungen.

Solche angedachten Veränderungen sind jedoch möglich, weil die jungen DesignerInnen im Grunde ihren Berufsstand neu gestalten müssen. Denn unter globalisierten Produktionsbedingungen und dem Diktat der Marken müssen sich die jungen Entwerfer und Entwerferinnen ihren Markt und die Produkte, die auf ihm Bestand haben sollen, gleich mitgestalten. Das ist der Moment, in dem neue zwischenmenschliche Interaktionsformen oder Umweltideen, die von traditionellen Großkonzernen vernachlässigt, von den VerbraucherInnen aber durchaus ersehnt werden, eine Chance haben.

Geht es nach dem Designmai, sollen diese Chancen genutzt werden. „Wachstum und Neoliberalismus können Armut nicht lindern. Einige Regierungen haben das schon begriffen“, sagt Bergmann. Derzeit gäbe eine einmalige historische Situation: „Noch nie waren so viele Menschen unzufrieden mit ihrer gegenwärtigen kulturellen und ökonomischen Situation, aber sie können sich keine Alternativen vorstellen.“ Er fordert seine ZuhörerInnen auf, die Alternativen zu finden. „Denkt das noch nicht Gedachte, erschließt euch diese Entwicklungsfelder, seid der Flügelschlag des Schmetterlings, der den Sturm auslöst.“

Manchmal muten die Alternativen, die gefunden werden, fast trivial an, wie die eingangs aufgeführten Beispielen zeigen. Dennoch spiegeln sich darin ungeahnte Wandlungen. Wenn die renommierte Designerin Matali Crasset etwa in einem von ihr entworfenen Hotelzimmer die Minibar weglässt, stellt sie einerseits die Konsumfrage. Zum anderen aber bringt sie damit den Durstigen auch wieder in Kontakt mit Menschen, seien es der Barkeeper oder die Leute vom Zimmerservice oder – im günstigsten Falle und auf den soll der Rest der Hoteleinrichtung ebenfalls hinauslaufen – sogar in Kontakt mit anderen Gästen. Ein Hotelzimmer ohne Minibar stellt sich damit, wenn auch nur als Idee, gegen den Trend zur Vereinzelung in unserer Gesellschaft.

Der Gedanke, neuen Klamotten aus alten entstehen zu lassen, rüttelt ebenso am Konsumdogma. „Post-Neo-Recycling“ nennt Florinda Schnitzel ihre Idee. Zwar ist „aus Alt mach Neu“ nicht neu, aber die Renaissance dieser Idee stellt die heutige Wegwerfgesellschaft samt deren Ressourcenverschwendung dennoch in Frage. Gleichzeitig wertet sie die Rolle der DesignerInnen auf, wollen diese aus zwei alten ja nicht ein neues Objekt, sondern zwei neue fertigen.

Und das dritte Beispiel vom Gemüse, das an vertikalen Feldern gezogen wird – das, um der gestalterischen Vision Genüge zu tun, auch noch auf Kompost, dem Abfall von gestern, wächst –, ist ein Vorschlag, wie Landverbrauch entgegengewirkt werden kann, den Frithjof Bergmann in seinem Vortrag vorstellte.

Der „Designmai“ läuft noch bis 16. Mai. Infos unter www.designmai.de