„Ich bin kein CDU-Standardmodell“

Was kommt nach Rot-Grün? (3): Michaela Noll, CDU-MdB, wollte im Visa-Untersuchungsausschuss Joschka Fischer und Rot-Grün stürzen. Das misslang – und seither reden viele schlecht über sie. Wer ist sie? Was will sie? Und was macht eine geschiedene Halbiranerin mit Patchworkfamilie in der CDU?

INTERVIEW SUSANNE LANG

taz: Frau Noll, seit Ihrem Auftritt im Untersuchungsausschuss gelten Sie als Lieblingsfeindin von Joschka Fischer – ein Kompliment?

Michaela Noll: Ganz ehrlich, ich habe mich nie vor die Kamera gedrängt und war von Anfang an gegen die Live-Übertragung. Das Ergebnis kennen Sie ja: Plötzlich stand ich im Mittelpunkt der Kritik, mit meinen fünf Minuten Redezeit, in denen – zugegeben – nicht alles nach Plan lief, bekam aber dafür den schwarzen Peter zugeschoben.

Wieso haben Sie nicht gekontert?

Was hätte es gebracht, wenn ich auch cholerisch reagiert hätte? Und dass ich noch nicht mal meinen Fragekomplex zu Ende bringen konnte, damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ebenso wenig wie damit, dass ich anschließend in der Welt lesen musste: „Die Fraktionskollegen sind mit der Arbeit von Michaela Noll unzufrieden.“

Aber dagegen haben Sie sich gewehrt?

Ja, ich habe es in der Fraktion thematisiert, denn dort gehört es hin. Irgendwann gibt es Grenzen. Es gibt eine pflegeleichte Noll, und es gibt eine unbequeme Noll.

Das heißt?

Wenn die Leute mit meiner Arbeit nicht zufrieden sind, gibt es nur eine Lösung: den Ausschuss zu verlassen. Generelle Schlammschlachten liegen mir nicht. Mir geht es um die Sache.

Um den Sturz von Rot-Grün?

Nein, um die Situation der ukrainischen Frauen, die mit einem positiven Bild nach Deutschland gekommen sind, um einen Job zu finden, und dann in der Zwangsprostitution landen. Diese Frauen muss man schützen. Darum ging’s mir, nicht um einen Angriff auf Joschka Fischer oder Rot-Grün.

Können Sie sich erklären, weshalb Fischer bei Ihrer Frage so extrem reagiert hat?

Keine Ahnung. Weil ich eine Frau bin? Oder weil es ein sehr emotionales Thema ist?

War es denn fair, mit Ihrer Frage zu insinuieren, dass Fischer die Zwangsprostitution befördert habe?

Das ist doch Quatsch, so etwas habe nicht unterstellt und würde es auch nie tun. Zwangsprostituierte ebenso wie illegale Schlachtarbeiter sind ein Teil des Problems der Visa-Affäre, und den wollten wir darstellen. Man sollte zu den Fehlern stehen und dann reagieren.

Es müssen ja nicht alle eingereisten Ukrainerinnen zur Zwangsprostitution gezwungen worden sein.

Ich habe mich auf dementsprechende Papiere bezogen, von den Grünen! Andererseits, und das haben einige Botschafter ja auch ausgesagt, betrifft dies nicht alle. Wenn Frauen aus freiem Willen der Prostitution nachkommen wollen, dann sollen sie das machen. Das sage ich ganz wertfrei.

Als CDU-Mitglied? Das erstaunt aber. Klingt eher nach einer Position der Grünen.

In vielen Bereichen steht für mich die Sache im Vordergrund, nicht die Ideologie. Ich bin da pragmatisch. Nehmen Sie das Beispiel Zuwanderung: Es wäre ja Schwachsinn pur, wenn ich mich gegen jede Form der Zuwanderung wehren würde – mein Vater ist schließlich Iraner. Aber Integration muss machbar sein, und zwar für beide Kulturkreise. Zuwanderer müssen bereit sein, sich anzupassen, die Sprache zu lernen – alleine schon wegen ihrer Kinder, die sonst keine Chance in Deutschland haben.

Auch diese Position findet sich bei den Grünen. Sind Sie etwa eine Undercover-CDU-Frau?

Oh nein, ich bin zwar einerseits sehr liberal und offen, in vielen Bereichen aber sehr wertkonservativ: von Erziehung angefangen bis zu Kirche und Religion. Mein Sohn zum Beispiel ist in einer Jesuiten-Schule. Das wäre für die Grünen eine schwere Packung.

Die Grünen sind in Teilen auch wertkonservativ.

Ja, aber sie verfolgen insgesamt eine andere Politik. Sie komplizieren viele Dinge in Deutschland – nehmen Sie nur die Feldhamster, die unter Naturschutz stehen …

der größte CDU-Mythos: der Feldhamster, der die Autobahn verhindert …

Okay, bleiben wir bei der Zuwanderung: Den Multikulti-Ansatz der Grünen halte ich für schwierig. Und was sagen Sie den vielen jungen Frauen, die unter der Zwangsheirat leiden? Ich habe den Eindruck, die Grünen wollen sich die Welt oft schönreden.

Die CDU hat diese Welt lange Zeit ausgeblendet. Auch ein Grund, weshalb selbst Sie Ihre Herkunft nicht thematisieren?

Ich halte sie nicht bewusst heraus, die meisten Leute wissen, dass ich Halbiranerin bin. Außer vielleicht Harald Schmidt, der immer noch glaubt, ich wäre Sonnenstudiobesitzerin wegen meines Teints. Ich habe ganz einfach einen Touch von meinem Vater abgekriegt.

Wären Sie bei den Grünen, würden Sie Ihren Migrationshintergrund herausstreichen, und Harald Schmidt würde vielleicht darüber Witze machen.

Migrationshintergrund ist vielleicht für die Grünen ein Markenzeichen, für mich ist es ein Teil meiner Geschichte. So. Damit sehe ich bestimmte Dinge anders, weil ich eine andere Lebenserfahrung mitbringe, aber das hänge ich mir nicht an die Stirn und sage: „Achtung, ich bin multikulti, mir geht’s gut.“

Für welche CDU stehen Sie nun?

Ich glaube, man kann das nur so definieren: Die CDU ist im Wandel und ist offener geworden. Aber es macht eben immer noch einen Unterschied, ob man aus einer Großstadt wie Berlin kommt oder aus der ländlichen Region. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte in Passau kandidiert, als Halbiranerin, das wäre wohl schwieriger gewesen.

Nun ja, Sie haben dennoch Ihren Namen geändert, von Tadjadod in Noll, nach Ihrer zweiten Heirat …

Bei der Mitgliederaufstellung, damals 2001, kurz nach dem 11. September, war das tatsächlich problematisch, ich wurde prompt darauf angesprochen. Aber ich habe dennoch die Mehrheit im ersten Wahlgang geschafft.

Das klingt trotzdem sehr nach CDU.

Die Grünen wollen oft zu viel und vor allem zu schnell. Ein gutes Beispiel dafür sind die gleichgeschlechtlichen eingetragenen Lebenspartnerschaften. Ich bin sehr dafür, aber warum brauchen wir gleich das Adoptionsrecht? Wer fragt denn die Kinder, ob sie damit klar kommen?

Wenn man immer darauf warten würde, bis die Gesellschaft so weit ist, würde sich doch nie etwas verändern. Und Sie wären vielleicht nicht in der CDU?

Als ich angetreten bin, 1994, war ich allein erziehende Mutter mit Migrationshintergrund – das war nicht das Standardmodell für klassische CDU-Wähler, das stimmt. Aber auch wir suchen Antworten auf die aktuellen gesellschaftlichen Fragen.

Welche bieten Sie denn an?

Dazu muss man wissen, dass ich politische Quereinsteigerin bin. Als ich schwanger war und verheiratet, stand ich plötzlich vor dem Problem, dass sich Karriere und Kind nur schwer vereinbaren lassen. Ich wollte aber nicht die Hausfrau spielen – wozu habe ich studiert? Daher kam der Impuls, mich politisch zu engagieren, mich dafür einzusetzen, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden.

Entschuldigen Sie, aber nach allem, was Sie schildern, geht man doch nicht zur CDU? Mit Verlaub …

Man sollte die CDU nicht immer nur auf innere Sicherheit und neoliberale Arbeitsmarktpolitik reduzieren. Wir sind gerade dabei, das Frauenbild moderner zu gestalten, weil der Anspruch der Frauen heute an ein erfülltes Leben ein anderer ist.

Mit Frauen wie Ursula von der Leyen, sieben Kindern und Karriere?

Dazu kann ich nur sagen: Hut ab! Ich käme mit sieben Kindern und einem Job an meine Grenzen. Aber eine Rabenmutter ist sie deshalb noch lange nicht.

Mal ehrlich, die Mehrheit wählt die CDU doch aus anderen Gründen, egal wie viele Kinder die neuen CDU-Frauen managen.

Unsere Wählerstruktur beginnt bei 55 Jahren aufwärts, aber wir suchen auch Antworten für die jüngeren Frauen und Männer zwischen 30 und 40. Deshalb setzen wir bewusst neue Akzente. Aktuell haben wir zum Beispiel eine bundesweite Aktionswoche der Frauenunion zum Thema „Teenagerschwangerschaften“ – bisher auch kein typisches CDU-Thema.

Ein Versuch, im urbanen Milieu anzukommen?

Ich kann doch nur authentisch sein. Wenn ich im Dirndl auf dem Land auftauche, nimmt mir das niemand ab, ich bin ja nun mal Städterin und habe lange im Ausland gelebt. Man hat mir nicht ohne Grund einen Titel verpasst, als ich antrat: die ZBV-Frau – zur besonderen Verwendung.

Wie bitte?

Na, weil ich mich an Themen traute, die für viele in der CDU schwierig waren – aber wichtig, wie ich finde, zum Beispiel die Lesben- und Schwulenbewegung.