Beratung scheitert an Bürokratie

Die Aids-Hilfe Köln muss ihre Beratung reduzieren und Stellen streichen. Das vor einem Jahr eingeführte Abrechnungsverfahren sei zu kompliziert und schrecke die Klienten ab

KÖLN taz ■ „Schnell und unbürokratisch“, so möchte die Aids-Hilfe Köln ihre Arbeit verstanden wissen. Nun droht sich das Credo der Beratungsstelle in sein Gegenteil zu wenden. Seit der Umstellung der Kostenträgerschaft auf zwei Kostenträger vom 1. Januar 2004 sei der Verwaltungsaufwand derart gestiegen, dass die Beratungsleistungen darunter leiden, teilte die Aids-Hilfe mit. Zum 30. Juni müssten deshalb zwei Beraterstellen abgebaut werden, ab sofort sei die Beratungsstelle freitags geschlossen.

Bis Ende 2003 hat die Stadt den Beratungsaufwand von zehn Sozialarbeiterstellen finanziert. Nun trägt die Stadt nur noch die Kosten für die 1,5 Stellen der Kurzberatung, längere Beratungszeiten müssen nach einem Beschluss des Landes seit dem 1. Januar 2004 mit dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) abgerechnet werden. 60 abrechenbare Stunden pro Woche fehlten deshalb am Ende jeden Monats im Beratungsbereich, klagt die Aids-Hilfe.

Das Abrechnungsverfahren des LVR ist laut Aids-Hilfe sowohl für den beratenden Sozialarbeiter als auch für den Klienten höchst kompliziert, da es vorsieht, die Beratungszeit jedes Klienten minutengenau zu berechnen und zu beantragen. Nachdem der 14-seitige Antrag vom Hilfesuchenden ausgefüllt ist, kann die Bearbeitungszeit beim LVR „bis zu einem Jahr“ in Anspruch nehmen, berichtet der Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln, Michael Schuhmacher. Da die Aids-Hilfe aber dennoch schnell und unkompliziert Hilfe leisten will, bleibt sie bis zur Bewilligung des Antrags auf den bis dahin entstanden Kosten sitzen.

Besonders dramatisch findet Schuhmacher allerdings die abschreckende Wirkung des aufwändigen Verfahrens für die Klienten selbst. Die Hilfe suchenden Menschen seien mit dem aufwändigen 14-seitigen Antrag meist völlig überfordert, berichtet er. Die Beratung wollten sie dann oft gar nicht in Anspruch nehmen. Außerdem sehe das LVR-Verfahren vor, die Unterhaltspflicht der Erziehungsberechtigten zu prüfen. Konkret bedeute das, dass „Familienangehörige von Drogenabhängigen, Schwulen und von betroffenen Müttern mit Kindern“ angeschrieben werden.

Auch hier sei die Konsequenz, dass trotz des steigenden Bedarfs an persönlicher Beratung und Betreuung die Hilfeleistungen oft nicht mehr in Anspruch genommen würden. „Vertreibende Beratung“ nennt Schuhmacher das. Um dennoch anonym beraten zu werden, würden viele HIV-Positive und Aids-Kranke die kurzfristige Hilfe in Anspruch nehmen, die mit den nur noch 1,5 finanzierten Stellen vollkommen überlastet sei. Der LVR und die Stadt Köln haben der Aids-Hilfe inzwischen zugesagt, Zuständigkeit und Bedarf zu überprüfen.MARIE-SOPHIE MÜLLER