Viel zu schnell vorbei

Im Vorfeld raufte man sich die Haare: Wie soll die Künstlichkeit des Musicals nur mit der Coolness, dem Understatement und Groove der Ramones zusammengehen? Aber „Gabba Gabba Hey! Das Ramones Musical“ schafft es, nie peinlich zu werden

VON JENNI ZYLKA

Ein Ramones-Stück dauert im Durchschnitt zwei Minuten. Ein Ramones-Musical dauert 60 Minuten. 18 Songs kommen im Stück vor, das ergibt also 36 Minuten Musik. Wobei eines der Stücke von den New York Dolls stammte, und „Personality Crisis“ ist – jedenfalls im Original – sogar etwa dreieinhalb Minuten lang. Hat aber als Ausgleich dafür nur drei Akkorde (die meisten Ramones-Songs haben vier).

Die Premiere von „Gabba Gabba Hey – A Lower East Side Love Story“ am Dienstagabend war viel zu schnell vorbei. Man hatte sich gerade mal ein, zwei Bier geholt, gerade mal ein, zwei Zigaretten geraucht, gerade mal ein, zwei Mal „Naaa? Wie geeeehts?“ gerufen – klassenbewusst wurde der Columbia Club für das Musical nicht bestuhlt, sondern man stand wippend, quatschend und konsumierend vor der Bühne, wie beim Konzert eben.

Angesichts der Paarung Ramones und Musical raufte man sich im Vorfeld die Haare: Wie zur Hölle soll die Künstlichkeit, die Theatralik eines Musicals sich mit der Coolness, dem Understatement, dem Groove einer US-Punk-Attitude vermischen? Gerade die Ramones, schwarze Haare, Lederjacken, Pokerfaces, die Band, deren Sänger sein Gesicht bis zu seinem Tod versteckt hielt, die Band, der es reichte, nur Teile von Wörtern zu singen, wie soll so was durch extrovertierte, emotionale MusicaldarstellerInnen auf die Bühne gebracht werden? Joey Ramone nuschelte, lebte im Slang, spuckte die Halbsätze im breiten New-York-Idiom in die Gosse; MusicaldarstellerInnen dagegen kann man jedes Endungs-E, jeden Schwa-Laut von den Lippen ablesen, sogar wenn man Slow Joe in the last row ist.

Vielleicht, so hatte man vorher sogar gemutmaßt, versucht Regisseur Jörg Buttgereit eine Art Erwachsenen-Grips-Theater aufzuziehen: viele Gefühle, aber hart an der Peinlichkeitsgrenze vorbeidirigiert. Buttgereit hatte genau gesagt, was er will: einen Gegenentwurf zu den landläufigen Musicals, von denen man „Pickel am Po kriegt“. Das hat er hundertprozentig geschafft. Nichts ist weniger Musical als „Gabba Gabba Hey“.

Hinter einer mit Super 8-Aufnahmen von New York bestrahlten und halb durchlässigen Wand geben „The Forgotten Idols“ wacker ihr Bestes, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Premierenwackler inbegriffen, aber im Ganzen, das merkt man vor allem bei der Szene, in der der Gitarrist als Geist von Johnny Thunders ins Geschehen eingreift, können sie prima spielen, besser als Johnny Thunders – rein fingerfertigkeitstechnisch gesehen! (Das ist natürlich nicht alles.) Dann die Geschichte, die so dünn ist wie Joey Ramones lange Rockstarstelzen: Boy (Doug) meets girl (Sheena), ach was, die beiden HABEN sich längst getroffen und sind ein Paar, aber Sheena ist genervt, weil Doug zu viele Drogen nimmt, macht ihn darum mit einem tumben Quarterback eifersüchtig. Doug ist frustriert, pöbelt herum, bekommt ordentlich aufs Maul und findet am Ende zu Sheena zurück, und das alles in einer gemütlich-dunklen Sparversion von New York .

That’s it, folks, und erstaunlicherweise haben die Ramones zu jeder der mannigfaltigen Situationen in diesem kurzen Tohuwabohu einen Song geschrieben: Rock ’n’ Roll High School (Doug fliegt aus der Schule), Mama’s Boy (er haut vor seiner Mutter und dem schlimmfingrigen Stiefvater ab), I wanna be your boyfriend (er lässt sich in einer Bowery-Spelunke von einer Professionellen ausnehmen), Somebody put something in my drink (sic!), Beat on the brat (er kriegt die Fresse poliert) und so weiter und so fort. Es ist schön zuzugucken, wie gut die Stücke hinhauen, es ist lustig, wie ernst vor allem die jungen DarstellerInnen ihre Sache nehmen: Doug, Sheena und ihre Freundin Judy würden alleine hin und wieder ein wenig wie angemietete ZDF-Punks wirken, glücklicherweise gibt es Ades Zabel, Rolf Zacher und den in Würde erwachsen gewordenen Gitarristen, deren unmusicaleske Vergangenheit dem Ganzen die Lässigkeit gibt, die es dringend braucht.

Das muss Buttgereit gewusst haben, und auch mit dem Zabel-Double Jayne County (die US-amerikanische Garagenrock-Legende mit männlicher Vergangenheit, die Ades Zabel Mitte Mai für zwei Aufführungen ersetzen wird) hat er allerbestens besetzt. Natürlich wissen vor allem Zabel und Zacher genau, wie man souverän Trash präsentiert, und natürlich sind sie in Berlin damit an der richtigen Adresse und werden bei der Premiere frenetisch gefeiert: In der einen Ecke jubeln die Teufelsbergfans bei jeder Geste, die Ades Zabel mithilfe seiner Charakternase unterstreicht, in der anderen die alten Recken, die Rolf Zacher noch von ihren Amon-Düül-Platten und aus den alten Filmen kennen, und in der Mitte die um die Hüften etwas speckig gewordenen Exwilden.

Wie gerne würde man mal einer Busladung voller Provinz-Musicalfans dieses Zeug vorsetzen und dann deren entsetzte Gesichter und die „Geld zurück“- Forderungen filmen. Buttgereits Vision jedenfalls, das Anti-Musical, hat funktioniert. Extrem unterhaltsam ist es dennoch, besser gesagt: gerade darum geworden. Noch nicht klar ist allerdings, wer sich darüber in Zukunft sonst noch so amüsieren wird, nach Berlin mit seiner wohlmeinenden Trash-Vorliebe: Die mit Autoscheibenputzen beschäftigten Jetzt-Punks? Die humorlosen Ex-Punk-Musiker, deren beste Zeiten vorbei sind? Die komischen Menschen, die mit den Ramones, mit Punkmusik noch nie etwas am Hut hatten?

Der musikalische Leiter Tommy Ramone, einziger Überlebender der Band, freut sich jedenfalls hinter seiner Sonnenbrille und unter dem grauen Zopf über den Erfolg des Musicals, das im letzten Jahr in Australien Premiere hatte und nun – in der deutschen Fassung – durch das Land touren soll. Vielleicht gibt es ja doch noch mal ein richtiges Revival. Aber eigentlich ginge das erst, wenn wirklich alle Original-Punks ins Gras gebissen haben. Und da sei Eric Clapton vor, oder wie Gott heißt.

„Gabba Gabba Hey!“ Das Ramones Musical, im Columbia Club, bis 15. Mai, 17./18. Mai, 20 Uhr