aus der mensa: der könig der sonderangebote von HARALD KELLER
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Die Älteren am Tisch erinnerten sich stirnrunzelnd, und die Jüngeren mochten es kaum glauben, dass Wabble seine Heimstatt vor langer Zeit – war’s im vergangenen oder gar im vorvorigen Jahrhundert? – mit wechselnden Mitbewohnern teilte. Doch einen nach dem anderen hat er aus der Stadt gejagt, denn er wusste, dass die Fremde sie bilden würde. Hoch aber zogen sich die Brauen, und die Augen weiteten sich vor Staunen, als Wabble jüngst ankündigte, seine seit unvordenklichen Zeiten behauste Mansarde in Bälde gegen ein geräumigeres Refugium tauschen zu wollen. Der Platz reiche halt nicht mehr für seinen Bestand filmhistorischer Folianten, unikaler Utensilien, seltsamer Substanzen; dieses auf Flohmärkten, Reste- und Sonderverkäufen und sonst wo zusammengetragene und -gestellte Bric-à-brac, das ihm, dessen war man bereits gewahr geworden, seit langem schon über den Kopf zu wachsen drohte.

Wabble nämlich ist der König der Sonderangebote. Alle Tage wieder sorgt er für Verblüffung, denn er weiß oder ahnt bereits Wochen im Voraus, was die einschlägig verrufenen Discounter an Extras ins Sortiment aufnehmen werden. Er verwendet viel Zeit darauf, auf luftgelagerten Doc Martens quer durch die Stadt zu trotten, wenn irgendwo in den äußeren Vierteln eine begehrte Ware um ein paar Cent günstiger feilgeboten wird als anderswo. Auch ist er sich nicht zu schade, bei Veranstaltungen Leergut einzusammeln und sich vom Pfandgeld einen schönen Lenz, Sommer, Herbst oder Winter zu machen.

Fuchs und Pfennigfuchser, der er ist, hat er nun auch Wohnungskündigung und Neubelegung mit Bedacht festgelegt: Passend zum Auszug wird, wie Wabble jetzt schon weiß, ein namhafter und wegen seiner gewerkschaftsfeindlichen Politik eigentlich zu boykottierender Billigheimer tropfsichere Wandfarbe als Sonderverkauf annoncieren. Und zwar derart tiefpreisig, dass, so Wabbles Erfahrung, die Malermeister der Umgebung noch vor Ladenöffnung mit ihren Kleintransportern vorfahren, um ihre Lager aufzufüllen.

Noch aber ist die Frage nicht geklärt, ob Wabble die Renovierung selbst vornehmen wird, den offiziellen oder den grauen Arbeitsmarkt bemüht. „Gibt es nicht irgendwas dazwischen, einen versierten, aber preisgünstigen Maler?“ Babs, die man nie Babsi nennen darf, denkt wie immer praktisch. „Anstreicher“, verbessert der welterfahrene Strunk. Er kennt die Tücken der deutschen Handwerksordnung, die es Seiteneinsteigern schwer macht. Selbst Gebäudereiniger hätten früher ihren Meister machen müssen, belehrt Strunk die Umsitzenden. „Nicht schlecht übrigens, so jemanden in der Verwandtschaft zu haben“, setzt er hinzu. Er werde immer preisgünstig mit Chromol versorgt. „Chromol?“ – „Ein Mittel, das Fingerspuren auf glänzenden Oberflächen vorbeugt. Kriegt man nich’ im Laden. Einmal drüber, und die Fingerabdrücke sind weg.“ – „Die Finger sind weg?“ Klumpe hat schon wieder mal nicht richtig zugehört. „Genau. Die Finger sind weg. Und damit auch die Fingerabdrücke. Sehr praktisch für Einbrecher.“

Klumpe schüttelt den Kopf. Er versteht diese Welt einfach nicht. Aber dafür hat er ja seine Mensa-Bezugsgruppe, die sie ihm immer wieder gern erklärt.