Dauerarrest nur im Einzelfall

BGH: Nachträgliche Sicherungsverwahrung ist lediglich nach genauer Prüfung erlaubt

BERLIN taz ■ Mit scharfen Instrumenten muss behutsam umgegangen werden. Diese Linie vertrat gestern der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem ersten Urteil zur so genannten nachträglichen Sicherungsverwahrung. Um einen Sexualtäter dauerhaft wegsperren zu können, müsse die „hohe Wahrscheinlichkeit“ schwerer künftiger Straftaten durch eine „individuelle Gefährlichkeitsprognose“ belegt werden.

Von Sicherungsverwahrung spricht man, wenn ein Straftäter nach Verbüßung seiner Strafe nicht aus der Haft entlassen wird, weil er immer noch als gefährlich gilt. Früher musste die Sicherungsverwahrung bereits im Strafurteil vorgesehen werden. Vor allem auf Druck der Länder Baden-Württemberg und Bayern hat der Bund im Juli letzten Jahres ein Gesetz geschaffen, das die Anordnung von Sicherungsverwahrung auch noch bis kurz vor dem eigentlich geplanten Haftende erlaubt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich in der Haft neue Anzeichen für eine fortdauernde Gefährlichkeit ergeben haben.

Wie der BGH jetzt in einem Fall aus Bayreuth feststellte, genügt die bloße Verweigerung einer Therapie noch nicht für diesen äußerst harten staatlichen Eingriff. Die Justiz müsse zumindest aufklären, warum der Gefangene die Therapie abgelehnt hat. Die Sicherungsverwahrung dürfe nicht als Sanktionsinstrument für eigensinnige Strafgefangene missbraucht werden.

Im bayerischen Fall stellte sich heraus, dass der Gefangene eine begonnene Therapie nicht einmal selbst abgebrochen hatte, sondern dass die Anstalt aus organisatorischen Gründen die Behandlung beendete. Warum er sich nicht auf Therapieplätze in anderen Gefängnissen bewarb, blieb ungeklärt. Seit März 2004 absolviert der Mann, der als Sporttrainer ihm anvertraute Jungen missbraucht hatte, jetzt tatsächlich eine Sexualtherapie. Das Landgericht Bayreuth muss über seine Sicherungsverwahrung nun erneut entscheiden.

Bisher gibt es bundesweit erst eine Hand voll Fälle, in denen nachträglich eine Sicherungsverwahrung verhängt wurde. Im einstigen Vorreiterland Baden-Württemberg haben die Gerichte bisher alle Anträge der Justizverwaltung abgelehnt. Es ist im Einzelfall offensichtlich nicht so einfach festzustellen, ob ein Mensch tatsächlich eine „tickende Zeitbombe“ ist. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 300 Sicherungsverwahrte. (Az.: 1/StR 37/05) CHRISTIAN RATH