Spiel, Schwatz & Sieg
Früher hieß er Mittwoch

Schon wieder versäumt, sich rechtzeitig Karten für Deutschlands ältestes Tennisturnier am Hamburger Rothenbaum zu besorgen? Halb so wild. Hendrik Ternieden erzählt, was Sie verpassen

Der Tag, der einmal Mittwoch hieß, heißt nun Trends Day. Zumindest beim Hamburger Tennisturnier „Am Rothenbaum“, bei dem in diesem Jahr jeder Tag ein eigenes Motto besitzt. In der ersten Partie am Trends-Day stöhnen auf dem Centre-Court Gustavo Kuerten und Tommy Robredo um die Wette. Es läuft nicht gut für Kuerten, der zwar markanter stöhnt, doch schlechter spielt. Den ersten Satz hat der Brasilianer bereits 3:6 verloren, im zweiten wird ihn die Höchststrafe ereilen: 0:6. Die Zuschauerränge sind spärlich besetzt, der Tag ist noch jung beim einzigen Turnier der ATP-Masters-Serie in Deutschland.

Während der Sprecher nach Kuertens Niederlage das nächste Spiel ankündigt, tönt, wenig trendy, der Sommerhit des Jahres 2004 aus den Boxen. „Dragostea Din Tei“ von der rumänischen Popgruppe O-Zone. Besser ein alter Sommerhit als immer nur Regen, scheinen die Veranstalter zu denken. Durchwachsen ist nämlich der aktuelle Wetter-Trend. Die Massen hindert das nicht daran, das gesamte Areal zu bevölkern, nicht nur den überdachten Centre-Court. Bis zum Abend werden über 12.000 Menschen auf die Anlage an der Hallerstraße geströmt sein. Das Publikum ist bunt gemischt, einen typischen „Rothenbaum-Zuschauer“ scheint es nicht zu geben. Vor allem abseits des Centre-Courts zeigt sich die Vielfalt. Ein neuer Trend?

Kein Trend ist auch ein Trend

Abseits der großen Arena befindet sich auch Andreas Leicht, stellvertretender Chefredakteur des Lifestyle-Magazins „Fit for Fun“. Er sitzt auf der Showbühne eines Hamburger Radiosenders und referiert im Gespräch mit dem Moderator über das Thema des Tages: Trends. Das scheint kaum jemanden zu interessieren. Selbst als es etwas zu gewinnen gibt, muss der Moderator noch engagiert auf Teilnehmersuche gehen.

Dabei soll doch nur eine einfache Frage beantwortet werden: „Wie lange gibt es Fit for Fun?“ Kandidat Eberhard Lux, 64 Jahre alt, aus Chemnitz und eher unfreiwillig zur freiwilligen Teilnahme verpflichtet, schießt mit seiner Antwort komplett ins Blaue. „15 Jahre“, mutmaßt er. Leider daneben. Ihm bleibt der Trostpreis – eine „Unplugged“-CD eines Radiosenders. Während sich der Moderator und Experte Leicht weiter dem Thema Trends und Trendsport widmen, gesteht Eberhard bei einem Bier mit seinen Freunden, noch nie etwas von „Fit for Fun“ gehört zu haben. Er habe sich oben auf der Bühne aber dennoch sehr gut verkauft, flachsen die Bierkumpanen des Chemnitzers. Und die CD? „Ach die“, freut sich der gut gelaunte Rentner, „die kann ich ja meinem Enkel mitbringen.“

Bratwurst mit Krebscocktails

Es ist 13.30 Uhr, als das nächste Match auf dem Centre-Court beendet ist und der nächste heftige Hagelschauer niedergeht. Essenszeit. Während die VIPs gediegen im Inneren der Tennishalle speisen, bleiben dem normalsterblichen Besucher nur die Fressstationen rund um den Centre-Court. Doch auch dort ist das Angebot breit gefächert. Von Bratwurst bis zu Heringsmarinaden reichen die kulinarischen Genüsse, dazu locken Biere, Weine oder Flusskrebscocktails. Außerdem stehen sich an allen Aufgängen zum Centre-Court Brezel- und Eis-Verkäufer die Beine in den Bauch. Mit verschränkten Armen warten sie, vor Kälte bibbernd, auf die nächsten Kunden. Die beschweren sich mittlerweile immer lauter über die Kälte. Weniger Leute mit Eis in der Hand als mit Brezeln sieht man deshalb noch lange nicht.

„Oh, guck mal, Douglas!“, entfährt es der Mittvierzigerin beim Anblick der zahlreichen Parfum-Flakons, „lass uns mal rein da.“ Also: noch schnell einen Prosseco getrunken und dann ran an die Produkte. Denn neben Gastro-Angeboten sorgen die Turniersponsoren mit Shops dafür, dass sich die Besucher wie in einer Einkaufsstraße fühlen und in eine Art City-Bummel-Mentalität verfallen. Auf der Jagd nach Handtaschen, Anzügen, Uhren und Parfums bleibt kaum ein Wunsch unbefriedigt.

Während der junge, sportliche Typ die neuesten Trainingsanzüge begutachtet und die Ehemänner bei einer Bratwurst von der letzten Rückhand schwärmen, gehen die Kinder bei den Trainingsplätzen auf Autogrammjagd.

Die zweitschönste Frau Deutschlands

Auf der Showbühne lockt unterdessen ein weiteres Gewinnspiel. Der Tennisartikelhersteller Prince verlost sein neuestes Schlägermodell. Das zieht. Jung und alt, Tennisspieler und Nicht-Spieler versammeln sich, um das neueste Stück aus der Technik-Schmiede zu ergattern.

Was auch zieht, ist die Anwesenheit der aktuellen Miss Hamburg, Anahi-Elena Schussmüller. Die 22-jährige wird im Programmheft offiziell als zweitschönste Frau Deutschlands angekündigt, schließlich hat sie bei der Miss Germany Wahl den zweiten Platz belegt. Sie darf die Glücksfee spielen. Fräulein Schussmüllers „Miss-Hamburg“- Schärpe rutscht ein wenig, sie muss sie kurz zurechtzupfen, doch dann ist sie bereit und greift in die Lostrommel.

Und sie macht ihre Sache gut. Die Gewinnerin des neuen Schlägers spielt Tennis, nimmt sogar an Punktspielen teil. Die Auserwählte freut sich, die zweitschönste Frau Deutschland strahlt, alle sind glücklich. Ob sie denn selbst Tennis spiele? „Nein, mit Sportarten, die mit Bällen zu tun haben, kann man mich jagen“, bekennt Fräulein Schussmüller, doch das nimmt ihr keiner übel. Eiskunstlauf habe sie lange auf hohem Niveau betrieben und sei dennoch der Meinung, dass Tennis trendy ist. Wird sie sich denn jetzt noch ein paar Spiele anschauen? „Nein, eher nicht“, sagt die Zweitschönste. Sie strahlt.

Ebenso kurz wie die Miss Hamburg verweilen die 12.000 Zuschauer an den einzelnen Nebenschauplätzen. Dann vereint sie wieder der eigentliche Grund, aus dem die meisten gekommen sind: Tennis gucken. Und dass, obwohl Tennis zwar ein sehr schöner Sport sei, wie „Fit for Fun“-Experte Andreas Leicht etwas unsensibel bemerkt, „aber leider nicht mehr so trendy.“ Doch das stört auch nicht lange. Denn schon am Wochenende muss Tennis gar nicht mehr trendy sein. Dann ist am Rothenbaum nämlich „Family-Weekend“.