Der Kontrolle entziehen

Theater unter erschwerten Bedingungen gilt die Gesprächsreihe „Hoffnung Theater“ in der Akademie der Künste. Diesmal mit Künstlern aus Iran und Palästina

Das Eigene mit fremden Augen sehen: Das kann wie ein Schock sein und doch auch ein Glücksgefühle auslösen. Sara Reyhani aus Teheran und Omar Barghouti aus Ramallah beschreiben es beide am Ende eines langen Abends, an dem sie in der Akademie der Künste zurückblickten auf die Zusammenarbeit mit Künstlern aus Europa. Der Choreograf Omar Barghouti hatte den belgischen Regisseur und Choreografen Alain Platel mehrfach eingeladen, mit seiner Compagnie El-Funoun zu arbeiten. „Wir haben Alain gefragt, was ihm denn an Ramallah so gut gefällt, und er sagte, all das Chaos hier, in dem das Leben stattfindet“, und Alain Platel, der neben Barghouti auf dem Podium sitzt, nickt noch einmal bestätigend. „Wir haben das Chaos gar nicht mehr gesehen“, fährt Barghouti fort, „aber dann wieder neu entdeckt.“

Das Gespräch in der Akademie der Künste ist „Hoffnung Theater“ überschrieben: Eine Reihe von Gesprächen, die sich mit Theater in Kriegs- und Krisengebieten befassen. Der Status, den das Theater dort hat, ist oft schwer zu fassen und der Westeuropäer findet mit seinen Kriterien, was zeitgenössisch ist und wie sich die Kunst kritisch mit Alltag und Politik auseinander zu setzen habe, oft keinen Anknüpfungspunkt. „Wir Palästinenser sind vielleicht übersensibel, wenn internationale Künstler in der Zusammenarbeit mit kolonialen Attitüden auftreten“, räumte Barghouti ein, „aber mit Alain Platel haben wir uns zum ersten Mal wohl gefühlt und konnte auch unseren Stereotypen über den Westen begegnen.“ Sich der gegenseitigen Projektionen bewusst zu werden und sie in Bilder umzusetzen, von denen man nicht wissen kann, was sich hinter ihnen verbirgt, hat denn auch beide vorgestellten Projekte ausgezeichnet.

Sara Reyhani und die Dramaturgin Susanne Vincenz erzählten von „Letters from tentland“, einem Stück, das Helena Waldmann, Choreografin und Regisseurin aus Berlin, mit iranischen Künstlerinnen erarbeitet hat. Glücklicherweise gibt es Filmausschnitte, die das Ungewöhnliche der Performance ins Auge springen lassen: Die Darstellerinnen sind alle versteckt in kleinen Zelten, die sie wie eine zweite Haut umgeben. Innen ist ihr Freiraum groß, um zu tun und zu lassen, was sie wollen, nach außen dringt davon wenig. „Wir konnten nicht sehen, nicht kontrollieren, was wir machen“, das beschreibt Sara Reyhani als das Befremdlichste am Arbeitsprozess. Wie sich die Zelte aber bewegen, rollen, kreiseln und hüpfen, wie das Licht auf ihnen spielt, was man erzählt hört und in Texten liest, animiert die Vorstellungskraft heftigst, sich auszumalen, was die Frauen im Inneren der Zelte tun.

Der westeuropäische Blick, das weiß Reyhani, sieht in den Zelten zuerst ein Symbol der Begrenzung, der Einschränkung der Frauen, der Zensur. Für Reyhani selbst war die Arbeit im Zelt dagegen der Aufbruch von einem Nullpunkt, an dem eingeübte Gesten nicht mehr zählten und eine neue Sprache gesucht werden musste. Für den Choreografen aus Ramallah sehen die Zelte zuerst nach dem Bild von Flüchtlingen aus. Susanne Vincenz zeigt ihre Dias von Zelten überall im iranischen Alltag, von Bauarbeitern, an Straßenrändern, Picknickplätzen, auf Märkten. Dieses Fließen der Bedeutungen macht die Stärke des Stücks aus.

In Teheran wurde mit „Letters from tentland“ zwar das große Theaterfestival Fadjr in diesem Jahr eröffnet, geplante Vorstellungen im April und Mai aber wurden abgesagt. Ab Juni tourt das Stück in Europa. Die Frage, welche Bedeutung es für den Iran hat, muss offen bleiben.

Dagegen ist für Omar Barghouti immer klar, was der Tanz für ihn in Palästina bedeutet. Sein Selbstverständnis entwickelt er auf einem schwierigen Gelände, im Schatten der neu gebauten Mauer zwischen Israel und Palästina. Er empfindet jede Äußerung im Tanz als Widerstand gegen das dem Leben aufgezwungene Warten an den vielen Grenzen, die den Alltag durchschneiden: Widerstand gegen die Kontrolle. Aufführungen, kurzlebige Events, das ist es nicht, worauf es ihm ankommt. Sondern darauf, an einer Entwicklung teilzuhaben, die nicht mehr aufzuhalten ist.

KATRIN BETTINA MÜLLER