das leben in schilyvision von WIGLAF DROSTE:
Otto Schily ist ein grundfieser Bessermensch. Im deutschen Bundesinnenminister vereinen sich polizeiliche Paranoia und persönliche Selbstgerechtigkeit, als explodierender Anthroposoph weiß er sich quasi vollautomatisch und chronisch im Recht. Adäquat gewürdigt wird Schily in einem vom WDR produzierten Hörspiel des in Luzern lebenden Schweizer Autors Christian Gasser. „Lelouchs Vision“ zeigt die reale Wahnwelt des obersten deutschen Gummiknüppels Otto Schily als Fiktion. Der Anti-Terror-Terrorist Karl Lelouch, der Otto Schily gleicht wie ein DNA-Test dem anderen, hat die „Computerjustiz“ ersonnen, deren Ziel „eine möglichst vollständige und auch vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ ist, die auch „die moralische Schuld mit einschließt“. Die Stimme des Schauspielers Rolf Becker trifft den sonoren Brustton des missionarisch durchdrungenen Ministers, der die „Vision einer Welt ohne Kriminalität“ ausdünstet, genau.
Gasser hat seine vertrackte, intelligente Geschichte auch strategisch klug verpackt. Seine Hauptnebenfigur ist Thomas Steinbach, ein Mann, der sein Geld mit dem Erfinden brutaler Computerspiele verdient – und der sich entsprechend sehr dazu eignet, grundsätzlich schon mal verdächtig zu sein. Steinbach gerät unter den Verdacht, auch ganz in echt ein Mörder zu sein, der Mörder einer Familie noch dazu: „Sieben Menschen und eine Katze!“, so wirft es ihm der Gossenjournalismus vor, soll er auf dem Konto haben. Seine Freundin geht auf Distanz, auf der Straße wird er angepöbelt und, übler, angeduzt: „Du zynische Sau, du!“, er wird in den Hochsicherheitstrakt verklappt. Nie aber weiß man, auf welcher Ebene von wirklicher oder simulierter Realität man sich gerade befindet, denn Gasser lässt sein Personal nach Belieben durch die virtuellen Paralleluniversen hin und her sausen.
Was der Geschichte an Wahrheits- und Heutigkeitsgehalt aber überhaupt nichts abzwackt. Gasser lässt eine Staatsanwältin Bertini, die ganz dringend „Ministerin für innere Sicherheit“ werden will, rekapitulieren: „Schuld und Unschuld sind dehnbare Begriffe. Was sich im Kampf gegen den Terrorismus und die organisierte Kriminalität bewährt hat, wird auch in der normalen Strafverfolgung für glänzende Resultate sorgen. Um die moralische Schuld geht’s. Minister Lelouch hat Recht: Wer sich zutraut, ein Verbrechen zu begehen, ist eine Gefahr für die Gesellschaft. Zweifel bedeutet Schuld.“
Christian Gasser, Mitherausgeber des Comic-Magazins Strapazin, ist in der Schweiz noch immer berühmt für seine „Sounds-Surprise“-Sendungen auf Radio DRS 3. Wie überzeugend und wie lustig er Musik und Literatur zu verschmelzen weiß, zeigte er ebenfalls in seinem Buch „Mein erster Sanyo – Bekenntnisse eines Pop-Besessenen“. Auch in „Lelouchs Vision“ wird die Musik verblüffend zum Einsatz gebracht: Das grandiose „Sway“ von Dean Martin ertönt in einer Szene, in der sich Lelouch und Brentini erotisch näher kommen. Schwer keuchend stößt Brentini aus: „Karl – ein herrlicher Name! So männlich und intelligent!“ Wie heißt es in „Sway“: „Only you got that magic tequenique …“ – davon dürfen Lelouch und Schily weiter träumen.
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