Europa braucht Volk
: KOMMENTAR VON DANIELA WEINGÄRTNER

Die Verfassungsabstimmung im Deutschen Bundestag, dieser fromme Wunsch war oft zu hören, möge als positives Signal nun auch in Frankreich vernommen werden. Bundesregierung und Opposition hatten sich mächtig beeilt, um die Nachbarn noch rechtzeitig vor deren Volksabstimmung am 29. Mai positiv einzustimmen. Diese Optik aber stellt den Sachverhalt auf den Kopf. Denn in Wirklichkeit ist es Frankreich, das Signale sendet – negative in diesem Fall –, und die deutsche Öffentlichkeit, die darauf reagiert hat.

 Die Franzosen haben sich mit dem Inhalt der Verfassung auseinander gesetzt, als der Abstimmungstag in greifbare Nähe rückte. Die daraus resultierende leidenschaftliche Debatte ist nach Deutschland übergeschwappt, obwohl die Deutschen gar nicht direkt gefragt werden. So sind zarte Anfänge einer europäischen Auseinandersetzung entstanden. Derzeit diskutieren deutsche Spitzenpolitiker auf französischen Podien, der Anfang für eine europaweite Wahlkampagne ist damit gemacht.

 Der Prozess, der derzeit in Frankreich zu beobachten ist, spricht dafür, die nächste Vertragsreform mit einem europaweiten Referendum zu besiegeln. Die Motivation, sich mit einem komplizierten Sachverhalt zu befassen, ist offenbar sehr hoch, wenn man seine Meinung dann auch in die Waagschale werfen kann.

 Genau das braucht die Europäische Union. Die Risiken und Nebenwirkungen allerdings bleiben unverändert bestehen. Deshalb sollte dieses Instrument wirklich Vertragsänderungen vorbehalten bleiben. Eine europaweite Volksabstimmung über den Beitritt der Türkei zum Beispiel könnte populistische Reflexe stimulieren, die brandgefährlich sind.

 Selbst wenn europaweite Referenden Vertrags- und Verfassungsfragen vorbehalten bleiben, steckt darin Sprengstoff genug. Nach welchen Regeln soll das Ergebnis bewertet werden? Reichen 50 Prozent der abgegebenen Stimmen, oder muss dieses Quorum in jedem Mitgliedsland einzeln erreicht werden? Wie wird das Resultat aus Ländern gewichtet, in denen die Wahlbeteiligung unter 30 Prozent lag? Diese Fragen haben es in sich, sind aber nicht unlösbar. Damit bis zur nächsten Verfassungsreform eine befriedigende Antwort gefunden ist, sollte die Debatte jetzt beginnen. Europaweit.