Die Freien Wenden und der Wettergott

Ohne die widerständische Platzbesetzung rund um das Bohrloch 1004 einst vor 25 Jahren gäbe es heute die Kulturelle Landpartie im Wendland gar nicht. Mit einer Lesung erinnerte man nicht nur für die Anti-Atomkraft-Veteranen an die politischen Wurzeln der künstlerischen Leistungsschau

Der Wettergott war mit den Besetzern, das konstatierte danach auch die Polizei. 33 Tage lang währte die „Republik Freies Wendland“ – und kein einziger Tropfen Regen trübte das Leben im Widerstands-Dorf auf der Tiefbohrstelle 1004. Der Wettergott war aber auch mit denen, die sich 25 Jahre später erneut im Wald hinter Gorleben trafen, um die damaligen Ereignisse noch einmal Revue passieren zu lassen.

Die vom Gorleben-Archiv im Rahmen der „Kulturellen Landpartie“ organisierte Lesung am Sonntag fiel nicht, wie befürchtet, ins Wasser. Dicke Tropfen prasselten erst vom Himmel, als die letzten Besucher gerade in ihre Autos gestiegen waren.

Eigentlich sollte die Veranstaltung dort stattfinden, wo einst die Holzhäuser der freien Wenden-Republik standen. Doch die Besitzerin des Grundstücks, die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), wolle derlei „auf ihren Flächen nicht dulden“ und habe „entsprechende ordnungsbehördliche Maßnahmen zum Schutz des Privateigentums“ angekündigt, teilte die Landkreis-Verwaltung dem Verein Gorleben-Archiv kurzfristig mit.

Dessen Vorsitzende Asta von Oppen hatte sich zwecks Genehmigung der Lesung zunächst an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als mutmaßlichen Hausherrn gewandt und von dessen Chef Wolfram König auch eine Erlaubnis erhalten. Erst später stellte man im BfS fest, dass die Behörde lediglich das Nutzungsrecht an der Bohrstelle 1004 hat. Eigentümerin ist immer noch die DWK.

Ein Kuriosum – denn die in den siebziger Jahren von den Energiekonzernen gegründete Firma besteht längst nur noch auf dem Papier. Sie hat die Verwaltung der Grundstücke bei Gorleben der Brennelemente Lager-Gesellschaft (BLG) übertragen, die das nahe Atommüllzwischenlager betreibt. Die BLG verweigerte auf neuerliche Anfrage die Nutzung, denn auf dem Bohrplatz 1004 würden keine politischen Kundgebungen geduldet.

„Weil wir keine Lust auf eine Auseinandersetzung verspürten, haben wir die Veranstaltung verlegt“, so Asta von Oppen. Zwei Kilometer von „1004“ entfernt, auf dem Gelände der von Umweltschützern gegründeten Salinas Salzgut GmbH und in Sichtweite von Zwischenlager und Endlager-Bergwerk, fügte der Schauspieler Wolfgang Kaven alte Tagebuch-Einträge, Protokoll-Fetzen und Zeitungsberichte gekonnt zu einer ebenso bewegenden wie unterhaltsamen Collage zusammen.

In der Erinnerung entstanden die Häuser aus Baumstämmen, Stroh und Glas im sandigen Waldboden noch einmal neu. Das Küchengebäude, das große Rundhaus für Versammlungen, die Batterie von Latrinen und das Passhäuschen mit Schlagbaum, wo die „Wendenpässe“ ausgestellt wurden und über dem die immer die grün-gelbe Wendlandfahne flatterten.

Die Teilnehmer – neben vielen 1004-Veteranen waren auch junge Leute gekommen – vernahmen noch einmal, wie das Hüttendorf zur touristischen Attraktion für Familienausflüge und Kaffeefahrten wurde. Und wie der Landessuperintendent ein Predigtverbot für Pastoren in der von Theologiestudenten auf dem besetzten Platz errichteten Holzkirche erließ. Oder wie in der Republik Freies Wendland gestritten und geliebt wurde. Die Texte vermittelten das Lebensgefühl der Besetzer – und ihre ständige Angst vor der polizeilichen Räumung. Reimar Paul