Flieg, Butschi, flieg!

Und Action! Eben noch faul in der Hängematte gelegen, jetzt Kratzspuren, zerschundene Knie, Schnabelbisse und Adrenalin wie ein Profiboxer nach einem KO-Sieg. All das an einem sonnigen Sonntagnachmittag, an dem die Katze ausnahmsweise keine Vögel jagt, die nur sie sehen kann, sondern einen richtigen echten lebendigen Wellensittich am Wickel hat.

Weiß-blau blitzt es in ihrer Schnauze, zuckt und zetert, dass es eine Freude ist. Jedenfalls für die Katze, eine Minute lang. Dann folgte dem ungleichen Kampf Katze–Vogel eine längere Auseinandersetzung zwischen Katze–Mensch und anschließend Mensch–Vogel. Eine Partei war am Ende etwas zerrupft, eine ganz unversehrt und eine: siehe oben.

Doch was tun mit dem Ding? Wieder in die Freiheit entlassen, damit es ein kurzes Leben ohne Gitterstäbe genießen kann? Und was ist grausamer: Der wahrscheinliche Tod als Spielgerät einer dicken Katze oder ein Dasein als Käfiginsasse? Den Ausschlag gab dann die Aussicht auf eine glückliche Besitzerin, die ihren Hansi – der ein Weibchen ist und mittlerweile Walter-Chantal hieß – mit Tränen in den Augen und Bargeld in den Händen wieder in Empfang nehmen würde. Soweit der Traum. Eine Nachbarin zerstörte ihn. „Den hat gestern jemand aus dem Fenster geworfen“, erzählte sie vom Balkon aus. „Vogel, du nervst“ war das letzte, was Walter-Chantal mutmaßlich von seinen Ex-Besitzern gehört haben soll. Mist.

Um auf Nummer sicher zu gehen, ob nicht doch irgendwo eine Belohnung oder zumindest Schokolade wartet, wurde Walter-Chantal ordnungsgemäß dem Tierheim gemeldet. Weil es verboten ist, etwas einzusacken, was anderen gehört.

Vor allem ältere Damen scheint das nur peripher zu tangiere – so zumindest die Erfahrung eines Katzenbesitzers. „Wenn ich sie gefunden hätte, hätte ich sie behalten“, giftete ihm eine Frau per Telefon ins Ohr. Ihre Nachbarin hatte seine vermeintlich herrenlose Katze aufgenommen und rückte diese auch nur äußerst unwillig wieder heraus. „Man darf die Tiere nicht rauslassen, da sind ja Tierfänger unterwegs, die machen ja die schlimmsten Sachen, da will ich gar nicht drüber reden“, sagte sie. Aus ihrer Wohnung drang der Gestank, den sieben Katzen und zwei Hunde verursachen, wenn man sie nicht lüftet.

Walter-Chantals neue Besitzer waren nicht der Ansicht, dass Viecher es bei ihnen am allerbesten haben und nirgendwo sonst. Glücklicherweise wird man Wellensittiche sehr gut wieder los. Gleich vier Liebhaber der Kleinpapageien meldeten sich auf das Inserat und boten Walter-Chantal ein Heim an. Die Wahl fiel auf eine junge Frau mit einem einsamen Wellensittich-Männchen, dessen Herzdame gerade entwischt war. Flieg, Butschi, flieg. Und bleib weg von dicken Katzen. Eiken Bruhn