Andere Alte

FOTOGRAFIE Die Bürgerschaft zeigt eine Ausstellung über das Alter, die auch und gerade junge Menschen beeindrucken kann

VON HENNING BLEYL

„Da muss man vor dem Alter keine Angst haben, wenn man so reizend rüber kommt.“ Das Bemerkenswerte an dieser Aussage, notiert im Gästebuch der Ausstellung „Neue Bilder vom Alter(n)“, die derzeit in der Bremer Bürgerschaft gezeigt wird, ist die Handschrift. Hier hat offenbar ein Teenie seine Befremdung vor der 50 Jahre später wartenden Lebensphase verloren. Dass eine Fotoausstellung so etwas bewirken kann, ist bemerkenswert – aber angesichts der zum Teil hoch eindrucksvollen Aufnahmen auch nicht wirklich überraschend.

Hinter der Ausstellung steht ein Wettbewerb der Leopoldina, der in Halle ansässigen „Deutschen Akademie der Naturforscher“ – deren Vizepräsidentin die JUB-Psychologin Ursula Staudinger ist. Das ist der Link nach Bremen. Die Idee war, „stereotypen Bildern des Alterns“ andere Sichten entgegenzusetzen – und so auch der sich verändernden demographischen Realität gerechter zu werden. In der Bundesrepublik leben heute mehr Über-60- als unter 30-Jährige, betont Staudinger – und verweist auf den Umstand, dass heutige 60-Jährige medizinisch gesehen durchschnittlich fünf Jahre jünger seien als ihre Altersgenossen früherer „Alterskohorten“. Allerdings: Eine negative Sicht aufs Alter „koste“ wiederum sieben Jahre Lebenserwartung.

Eine Collage sprühender Lebendigkeit ist etwa die Arbeit „Drei Minuten mit Martha L.“ Christel Linkerhägner hat in dieser kurzen Zeit 48 Fotos einer 83-jährigen in ein Gespräch vertieften Frau geschossen und die kleinteiligen Bilder zu einem Rechteck zusammengefügt. Lässt man seinen Blick über das so entstandene mimische Panoptikum schweifen, fühlt man sich gleich selbst beschwingt: So viel Vitalität, derart starke Stimmungen stecken in diesen Antlitz-Ansichten.

Paula Holtz hingegen hat das „klassische“ Bild des „schönen Alters“ beigesteuert: Es lebt von der Ruhe seiner Protagonistin, der Ästhetik einer regelmäßigen Faltenbildung, natürlich auch von der offensichtlichen Zufriedenheit der 100-jährigen Frau, deren im Profil gezeigtes Gesicht große Harmonie ausstrahlt. Eine solche Alters-Ästhetik ist bekannt, zweifelhafte Varianten dieses Genres tendieren zu Heroisierung. Spannend ist deswegen die Kontrastierung mit dem Gesicht einer dementen Frau, deren Züge auffällig weich und ungestresst wirken. Kann es eine krankheits-generierte Schönheit geben? „Geborgenheit“, wie Christiane Grosewa ihr Porträt nennt, beantwortet diese Frage eindeutig mit „Ja“.

Die Ausstellung ist thematisch überzeugend gegliedert, beispielsweise stehen sich die Abschnitte „einsam Altern“ und „gemeinsam Altern“ spannungsreich gegenüber. „Intimität im Alter, Sexualität“ – in diese Kategorie gehört das Siegerbild des Wettbewerbs. Gerhard Weber hat Ursula und Siegfried M. in ihrem Schlafzimmer abgelichtet: Frau M. trägt ein rotes Rüschenhemd, Herr M. lediglich ein Art Boxershorts, hinter ihnen sieht man ein plüschiges Bett mit goldgerahmten Jesus darüber. In den Gesichtern der beiden Alten liegt Selbstverständlichkeit. Bestehend aus der Selbstsicherheit, sich als Paar zu zeigen, das seine Sexualität offenbar nach wie vor lebt. Bestehend aus der Würde und dem Wohlgefühl, mit der sie sich in ihren eher schrumpeligen Körpern zu Hause fühlen – und bestehend in einer Prise Selbstironie, die dem etwas theatralen Setting der Aufnahme deren etwaiges Pathos nimmt. Last but not least liegt auch ein Hauch Traurigkeit in den Gesichtszügen, wohl dem Bewusstsein der eigenen Welkheit geschuldet. Aber das Vermissen des Gewesenen paart sich deutlich mit der Lust am Noch-Sein – wem Vergänglichkeit bewusst ist, würdigt das Vorhandene.

Deutlich schwächer als solche Porträts wirken die „Konzept-Bilder“: Fotos, hinter den ein ausgefeilter Plan steht, gar eine Pointe. Zu dieser Kategorie zählt Ruth Knechts Arbeit „Was bleibt?“ Knecht kombiniert Aufnahmen von aktiven Menschen mit Knochenfragmenten mit der Anmutung einer archäologischen Ausgrabung. Die Idee, die Lebendigkeit der Menschen mit deren mutmaßlichen künftigen Überresten zu konfrontieren, ist gut nachvollziehbar – die bildliche Überzeugungskraft bleibt trotzdem gering. Das Gleiche gilt für Daniela Rischs „Helga“-Serie, die immerhin mit dem dritten Preis ausgezeichnet wurde. Auch Risch versucht die Überwindung von Ungleichzeitigkeit, in dem sie ihre Protagonistin in den Kleidern von deren Mutter ablichtet. Auch die Effekte entsprechen sich: Der Gedanke gefällt, die optische Anmutung fällt durch.

Wenn Christine Rühmann betagte Tänzerinnen zeigt oder Angela Archilla eine ältere Dame, die – gestützt auf ein Surfboard – tatendurstig aufs Meer schaut („Looking for New Waves“), drängt sich die Frage auf, ob diese „Neuen Bilder vom Alter(n)“ nicht ihrerseits die Gefahr einer Einseitigkeit bergen. Doch zum Glück vermeidet die Ausstellung eine einseitige Fokussierung auf aktive Alte. Auch Schutz- und Unterstützungsbedürftigkeit kommen zu ihrem Recht, ebenso die Endgültigkeit eines körperlichen Endes. Hier brilliert denn doch noch eine Arbeit, der mehr ein Gedanke als eine Momentaufnahme zugrunde liegt: Annette Günter hat sich selbst ein Sterbedatum ausgesucht und damit den eigenen Grabstein beschriftet. Als „Annette Lucas“ wird sie also am 13.02.2100 bestattet. Damit hat sich sich nicht nur en passant einen künftigen Ehegatten ausgesucht, sondern auch demonstriert: Wer rechtzeitig ans Sterben denkt, hat Lust auf ein langes Leben.

Bis zum 13. April in der Bürgerschaft. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag zwischen 10 und 18 Uhr. Die nächsten Führungen finden heute um 11 und 17 Uhr statt, am Freitag um 11 und 16 Uhr sowie am Montag um 16 Uhr