Der Kopf zwischen all den Knöpfchen

Grandezza hat er noch, virtuos ist er auch. Doch ein wenig traurig war es schon: Jimi Tenor spielte in der Kulturbrauerei

Er sieht immer noch aus wie eine Mischung aus Andy Warhol, Sun Ra und Barry White. Die würdevolle Grandezza, mit der er in einem wallenden, mit chinesischen Drachen bestickten Seidenmantel die Bühne des Maschinensaals der Kulturbrauerei betrat, ist ihm geblieben. Auch wenn es das Leben sonst nicht wirklich gut meinte mit Jimi Tenor in der letzten Zeit.

In den Neunzigern noch einer der wenigen genuinen Stars, den die elektronische Musik hervorbrachte, eine Art europäischer Beck, ließ ihn erst das britische Warplabel wegen Meinungsverschiedenheiten über die künstlerische Richtung fallen – und weil „Out Of Nowhere“, das aufwändige und wunderschöne Album, das er mit einem polnischen Sinfonieorchester eingespielt hatte, spektakulär floppte. Dann fand ein Album, das er bei seinem eigenen Label PUU veröffentlichte, ebenfalls wenig Gefallen bei der geneigten Öffentlichkeit. Nun ist er nach Finnland zurückgezogen und außerdem beim Berliner Kitty-Yo-Label gelandet: Vor fünf Jahren wäre das ein match in heaven gewesen, heute hat Kitty Yo hat auch so seine Probleme.

Tenors größtes Problem ist, so kam es einem bei dem Konzert zumindest vor, dass er nicht mehr Jimi Tenor sein möchte. Dieser begabte Musikclown, der sich mit leichter Hand durch Jazz und Electronica bewegt und die unterschiedlichsten Einflüsse zusammenbringt, das alles ernst meint, es aber nie so aussehen lässt und als charmanter Sleazemeister lustig und verführerisch zugleich über Sex zu singen vermag.

Man kann es ihm nicht verdenken, und doch tat es ein bisschen weh, zu sehen, wie selbstzerstörerisch er die Hälfte seiner Stücke durch eine Acidrockmangel drehte, sie mit krachigen Orgelfreakouts verzierte. Vielleicht wäre es das Beste, dachte man sich dann, Tenor würde einfach mal mit einer Band hartgesottener Bluesrocker auf Tour gehen. Dann wäre er sie ganz schnell los, diese grausligen Jimi-Rufer, die ihm von seiner Popularität der Neunziger geblieben sind, und denen er in seiner Freundlichkeit nicht anders zu begegnen weiß, als zwischen zwei Stücken „I love my job“ zu murmeln, wofür es prompt frenetischen Applaus gibt.

Bei allem Können, das immer wieder aufblitzte – es war ein trauriges Konzert. Traurig auch deshalb, weil die reduzierten musikalischen Mittel, die mit den reduzierten finanziellen Mitteln einhergehen, nicht zu Tenors musikalischem Denken passen. Jimi Tenor denkt orchestral. Allein im Studio ist das kein Problem, da kann er Spur auf Spur einspielen, aufeinander türmen und am Ende ist wieder ein überladenes Meisterwerk entstanden. Auf der Bühne kommt aber selbst ein so talentierter Multi-Instrumentalist wie Tenor in Schwierigkeiten, wenn er gleichzeitig mit der einen Hand Orgel und mit der anderen Flöte spielt, dazu singt und dann noch aufstehen muss, um die Rhythmusspur an einem anderen Synthesizer zu modulieren. Zu viel ist zu viel.

Merkwürdigerweise hatte Tenor dann aber drei Perkussionisten dabei, die im Grunde nur rhythmisches Beiwerk lieferten, aber genau deshalb das Problem dieser Musik noch ausstellten. Da klopfen drei Männer auf ihren Trommeln rum, während der Chef des Ganzen kaum weiß, wo ihm zwischen all seinen Knöpfchen der Kopf steht. Trotzdem hatte es Größe, wie er zwischen den Stücken mit seiner Band Champagner soff – mit dem Hinweis, früher wäre eine Kellnerin auf die Bühne gekommen. Nun muss er selbst ausschenken. TOBIAS RAPP