der krieg ist aus: orte im wandel (5)
: Vom Sturmlokal zur Lounge – das „Kaiserstein“ in Kreuzberg

Vor 60 Jahren begann in Berlin der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Die taz stellt Orte vor, die während der Nazi-Diktatur eine besondere Bedeutung hatten, und sagt, was aus ihnen geworden ist.

Es muss die preußische Geschichte gewesen sein, die dieses Lokal für eine Kundschaft mit befremdlicher Gesinnung lange attraktiv machte. „Kaiserstein“ heißt die heute als loungiger Cocktailtempel erscheinende Restauration ja nicht umsonst. Am Kreuzberger Mehringdamm, da wo im 19. Jahrhundert Kadetten und Soldaten lebten, dort lag einst ein Findling. Der hatte die Ehre, dass Kaiser Wilhelm I., der, der bis 1888 regierte, dort geruhte seinen Fuß drauf zu setzen. Dies tat seine Hoheit stets dann, wenn es galt, auf dem Tempelhofer Feld die Paraden abzunehmen. Dann reiste Wilhelm in seiner Kutsche bis zu jenem Ort, wo heute Kreuzbergstraße und Methfesselstraße auf den Mehringdamm stoßen. Dort stieg der Kaiser zunächst auf den Stein, um sich dann auf den Paradegaul zu hangeln.

An dieser exponierten Stelle von höchster nationaler Bedeutung ließ bald darauf, im Jahr 1874, der Hofbaurat Ernst Klingenberg ein Mietshaus im Stil des Spätbiedermeier errichten. Das Haus bekam von ihm den Namen „Zum Kaiserstein“. Klang ja nach was. Was sich in den urigen Gaststuben im Erdgeschoss dann in den 30er- und 40er-Jahren abspielte, umschreibt die Selbstdarstellung des Hauses, seit 2000 unter neuer Pacht, so: „Das Haus und seine Gaststätte hatten eine wechselvolle Vergangenheit … und erlebten parallel zu der Geschichte der Stadt sowohl Höhepunkte als auch negative Zeiten im Dritten Reich.“

Deutlicher gesagt: Das „Kaiserstein“ wurde zum „Sturmlokal“ par excellence. Im gotisch anmutenden hinteren Saal der Lokalität soffen und agitierten SA-Leute und ganz Überzeugte. Eine Tradition, die übrigens bis in die 80er-Jahre hinein nahezu ungetrübt anhielt: So lud die NPD, trotz Verbots durch die Alliierten, am 14. Juni 1978 an den Mehringdamm zu ihrem „Landesparteitag“. Kurz zuvor war die im „Kaiserstein“ von Rechtsradikalen organisierte Gedenkfeier zu Hitlers „Machtergreifung“ am 30. Januar sogar von 300 Polizisten vor Gegendemonstranten geschützt worden. Der damalige Kreuzberger Bürgermeister, Rudi Pietschker von der SPD, verstand die Aufregung nicht, als die „Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz“ Alarm schlug: Das „Kaiserstein“ sollte auch 1978, wie schon seit den 40er-Jahren, als Wahllokal dienen. Die Lokalität sei doch „seit Jahrzehnten ohne Beanstandung gewesen“, wunderte sich Pietschker.

Tatsächlich feierten, tranken und hetzten hier seit Jahrzehnten ungestört die ewig gestrigen Mitglieder des „Stahlhelm“. Der, 1918 als „Nationale Selbstschutzorganisation“ gegründet, war 1934 in die SA überführt und zu Beginn der 50er-Jahre als eingetragener Verein neu ins Leben gerufen worden. In den Verfassungsschutzberichten der Berliner Innenbehörde wurden die Braunen allerdings nie erwähnt. Beim Trinken und Kriegsverherrlichen blieb es allerdings nicht: Im Keller des „Kaiserstein“ wurde auch fleißig Schießen geübt. Die letzte Knall-Party wurde erst 1983 abgeblasen, als SEWler und ALer gemeinsam mit der Kreuzberger SPD eine Gegendemo vor der Kneipe abhielten und einige der Stahlhelme verdreschen konnten. Danach war Ruhe. Braun sind heute nur noch die eleganten Cocktailsessel, in denen junge Menschen Kaiserschmarrn verzehren.

ADRIENNE WOLTERSDORF