Speichen für die Zukunft

Stiftung Warentest bescheinigt Kinderrädern, sie seien „lieblos gebaut, schlampig verarbeitet, schnell kaputt“. Doch wer einige Dinge beachtet, kann ein angemessenes Velo für den Nachwuchs finden

Bremsen an Kinderrädern dürfen nicht zu aggressiv reagieren

VON LARS KLAASSEN

Das erste Fahrrad: Das waren Besitzerstolz, heiße Rennen, spektakuläre Stürze. Das sind bis heute gewichtige Kindheitserinnerungen. Und die machen eine Entscheidung nicht gerade einfacher, wenn es an den Kauf des ersten Fahrrads für den Nachwuchs geht. Aber die Zeiten haben sich auch beim Kinderfahrrad geändert. Es geht nicht mehr holterdiepolter aufs Velo. Die ersten Fähigkeiten werden bereits im Vorfeld erlernt. „Auf Laufrädchen ohne Pedale trainieren Zwei- bis Zweieinhalbjährige bereits ihren Gleichgewichtssinn“, erklärt Volker Briese, Fachreferent für Verkehrspädagogik beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). Später kommt dann der Roller. Für den braucht es schon etwas mehr Kraft. Er hat den Vorteil, dass das Kind zur Not leicht abspringen kann. Wer das mit rund vier Jahren absolviert hat, ist endlich reif für das erste Fahrrad.

Auch dieses Gefährt dient noch nicht dazu, längere Strecken zurückzulegen. „Das erste Fahrrad ist in der Regel ein gleichgewichtsbildendes Spielzeug, das nicht im Straßenverkehr benutzt werden darf“, betont Briese. Der Gesetzgeber schreibt für diese keine Beleuchtung vor, da sie von kleinen Kindern benutzt werden, die ohnehin nicht im Dunkeln unterwegs sind. Der Fachreferent für Verkehrspädagogik warnt: „Gerade in dieser Radklasse werden die Bremsen zum Teil stark vernachlässigt. Oft sind die Griffe nicht kindgerecht.“ Hier sollten Eltern viel Aufmerksamkeit walten lassen. Wichtig ist, dass die Bremshebel mit Kinderfingern erreichbar sind und die Kraft, um sie zu bedienen, nicht zu hoch angesetzt ist. Wer ganz sichergehen möchte, lässt zur Vorderradbremse zusätzlich eine Hinterradhandbremse zum Rücktritt montieren. Damit lernen die Kinder von Anfang an, mit zwei Handbremsen zu arbeiten, was die spätere Umstellung auf eine Kettenschaltung erleichtert. Die Spielräder haben zwischen 10 und 18 Zoll große Räder. Die Kinder sollten auf dem Sattel sitzend mit den Füßen gut den Boden erreichen. Demgegenüber gibt es die „Kinderstraßenräder“. Für diese meist 20 bis 22 Zoll großen Räder schreibt die Straßen-Verkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) die gleiche Lichtausstattung vor wie beim großen Rad.

Doch trotz StZVO ist es um Qualität und Sicherheit von „Kinderstraßenrädern“ nicht gut bestellt. „Lieblos gebaut, schlampig verarbeitet, schnell kaputt: Viele Kinderfahrräder enttäuschen.“ So lautet das Fazit der Stiftung Warentest, die 16 Modelle für Kinder von 6 bis 10 Jahren unter die Lupe genommen hat – mit 20-Zoll-Reifen, 3-Gang-Schaltung (ein Rad mit 6-Gang-Kettenschaltung), Schutzblechen, Gepäckträger und Licht. Keines davon erhielt auch nur die Bewertung „gut“.

Sieben kleine Prüfer fuhren die Räder im Praxistest, angeleitet von fünf Erwachsenen. Die meisten der Velos waren Mittelmaß. Sie fuhren nur befriedigend. Mal passte der Rahmen nicht zum kleinen Radler, mal war der Sattel unbequem, mal kamen die Kinder mit dem Rad nicht richtig klar. Obendrein waren die Kinderräder schwer. Das Gewicht: bis 14 Kilogramm. Für Sechs- bis Zehnjährige ist das zu viel. Sie können die Räder nicht über eine Kellertreppe tragen.

Am Preis allein kann die schlechte Qualität nicht liegen. Die getesteten Markenräder kosteten bis zu 380 Euro. Dafür sollten sich gute Räder bauen lassen. „Allerdings“, stellt die Stiftung Warentest fest, „gibt es einen Trend zum Billigrad.“ Viele Kinderräder seien lieblos zusammengeschraubt. Oft würden minderwertige oder nicht kindgerechte Teile verbaut. Beispiel Gepäckträger: Sie haben oft nur eine Strebe und halten kaum was aus. Für Kinder ungeeignet – schließlich fahren hinten oft Freunde mit. Was für Erwachsene durchgeht, kann für Kinder voll daneben sein. Das gilt auch für die Bremsen. Alle getesteten Anbieter verbauen in den Kinderrädern aggressive V-Brakes für Erwachsene. Diese Bremsen packen bissig zu – schon bei geringem Druck auf den Bremshebel. Bei einer Notbremsung konnte das Vorderrad bei drei Modellen sogar blockieren. Selbst der manchmal eingebaute Bremskraftmodulator verhindert das nicht. Folge: Kind und Fahrrad überschlagen sich, wenn die Vorderradbremse allein betätigt wird.

Auch das modische Zubehör zum Koppeln zweier Fahrräder konnte im Test nicht punkten. Die Idee: Ein Erwachsener zieht das Kinderfahrrad hinter sich her. Der kleine Passagier kann selber treten. Ist das Kind müde, lässt es sich einfach ziehen. Fünf Systeme hat die Stiftung Warentest exemplarisch untersucht, drei verschiedene Kupplungen und zwei so genannte Fahrradtrailer mit integriertem Kinderrad. Ob Zugstange, Kupplung oder Fahrradtrailer, das Urteil der Tester lautete: „Die Gespanne aus Erwachsenen- und Kinderfahrrad fahren schlecht. Das Kinderrad pendelt nach links und rechts. Das Gespann schwankt.“

Die Testergebnisse verdeutlichen: Ein waches Auge ist beim Kauf wichtig. Wer etwas mehr Geld anlegt, kann den einen oder anderen Mangel durch Nachrüstung beheben. Lenkergriffe mit Prallschutz oder ein stabiler Gepäckträger kosten nicht viel – und tragen dazu bei, dass von spektakulären Stürzen nicht mehr zurückbleibt als gewichtige Kindheitserinnerungen.

Alle Ergebnisse von Stiftung Warentest in der Mai-Ausgabe 2005 und unter: www.stiftung-warentest.de