Bio-Boom im Supermarkt

Das südhessische Handels- und Vertriebsunternehmen Alnatura wird von einem Anthroposophen geleitet. Götz Rehn will Gewinn, dabei aber den Menschen dienen und aus der Bio-Nische ausscheren. Inzwischen hat er schon 16 Märkte eröffnet

VON HEIDE PLATEN

Ein neu angelegter Garten, ein Teich, Streuobstwiesen am Ortsrand von Bickenbach an der Bergstraße, auf der Terrasse stehen Sommerstühle und drei asiatische Gongs, schön wie Skulpturen. Der Chef hat seine Freude daran, er schlägt die Scheiben professionell. Und Chef will Götz Rehn (54) gar nicht sein. Der Alleininhaber der Alnatura GmbH versteht sich lieber als „Unternehmensleiter“, als „Treuhänder“, auch „als Berater, der notfalls die Kohlen aus dem Feuer holt“. Die über 500 Mitarbeiter sind auf sich selbst verwiesen, müssen eigenständig entscheiden, dürfen „ohne Sanktionen“ irren: „Ich mache Mut zu Fehlern.“ Dass 90 Prozent der Angestellten Frauen sind, das sei keine Absicht gewesen, sondern habe sich „so ergeben“: „Frauen sind mutiger, die trauen sich mehr zu.“

Der promovierte Volkswirt ist eine seltsame Mischung. Elegant sieht er aus in seinem hellen Leinenjackett, groß, seriös mit der Stirnglatze, den grauen Resthaaren. In nur 20 Jahren hat er ein Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 100 Millionen Euro aus dem Boden gestampft. Alnatura liefert über 600 Naturprodukte an 1.660 Läden und betreibt 16 Supermärkte. Stolz zeigt er Firmenbilanzen. Dass die Umsatzkurve 1991 steil nach oben schnellte, ist dem BSE-Skandal zu danken. Seither hält der Boom an. Ob er mit dieser Expansion je gerechnet hätte? „Ich hatte gedacht“, sagt Rehn selbstbewusst, „dass wir sehr viel schneller wachsen würden.“

Die neu bezogene Firmenzentrale ist hell und licht, viel Holz, viel Glas, die Räume farblich Ton in Ton abgestimmt, ein roter, ein blauer, ein gelber, einer in Türkis. Die Mitarbeiter sollen sich wohl fühlen. Rehn ist Anthroposoph, sein Lieblingswort „ganzheitlich“, sein Lieblingsbuch „Die Philosophie der Freiheit“ von Rudolf Steiner. Darüber wird nicht gestritten in der Firma. Aber Rehn ist auch Ökonom. Deshalb ist das Haus gemietet, nicht gekauft: „Wir sind Händler.“ Und als solcher hat er einige erstaunliche Sichtweisen entwickelt. „Gewinn“, sagt er, sei nicht „Ziel des Wirtschaftens“, das Materielle zwar „eine Seite, aber eben nur eine neben der geistigen“. Er sehe gerade die freie Marktwirtschaft als „Freiraum“, auch andere Ziele als den Profit zu verfolgen. Wirtschaft, das heißt für Rehn „nichts anderes als für andere tätig sein, den Menschen und der Natur dienen“. Das aber liege in der Verantwortung des Einzelnen: „Das kann ich in einer freien Gesellschaft nicht verordnen.“

Rehn ist Waldorfschüler. Wie kommt so einer erst einmal als Jungmanager zum weltgrößten Lebensmittelmulti Nestlé, der nicht gerade für seinen ganzheitlichen Umgang mit Mensch und Natur bekannt ist? Dort habe er, sagt Rehn, als Produktmanager für Pralinen und Schokolade „viel gelernt“. Außerdem mag er das Vorurteil nicht, dass Waldorfabsolventen sich nicht für naturwissenschaftliche, sondern eher für soziale und künstlerische Berufe eignen. Zudem müsse man heutzutage, „gerade wenn es die anderen nicht sind, in der Wirtschaft besonders kreativ sein“.

Der Alnatura-Supermarkt im Frankfurter Stadtteil Bockenheim ist ein Beispiel für Rehns Geschäftskonzept. In der Gegend wohnen junge Leute, die Universität liegt gerade um zwei Ecken, der Anteil der Grünen-Wähler ist hoch. Die Inneneinrichtung ist Standard, Naturmaterialien vor Plastik, rote Bodenfliesen, Lichtinseln, breite Gänge. Alnatura wirbt ebenso wie herkömmliche Ketten mit Sparpreisen und Sonderangeboten.

Rehns Firmenphilosophie bezieht nicht nur Kunden und Mitarbeiter ein, sondern auch die Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte. Biobauern müssen, meint er, bestehen können. Obst und Gemüse beziehen die Alnatura-Märkte am liebsten aus der Region, die Filialleiterinnen handeln die Preise eigenständig so aus, dass sich der Anbau rechnet. Trotzdem, so Rehn, dürfe der Preis für die Verbraucher nicht allzu hoch sein, gerade „Basisprodukte“, Grundnahrungsmittel, seien nicht teurer als in konventionellen Läden.

Dass Rehns Läden Konkurrenz sind für die Pioniere der kleinen, alternativen Bioläden der 70er-Jahre, das weiß er auch. Aber: „Die Zeit bleibt nicht stehen.“ Wer überleben wolle, müsse sich nach den Kunden richten und expandieren. Ambivalent sei das schon, aber, meint er, die Marktgesetze gelten auch für Idealisten. Alnatura spreche alle Kunden an, nicht nur die in den „Nischen“, die aus Sendungsbewusstsein zwecks Weltverbesserung Körner kauen. Entsagung, Lustfeindlichkeit sei nicht sein Geschäftsgebiet.