Abschied von Jahn

In Berlin beginnt das Internationale Deutsche Turnfest – Turnvater Jahn spielt nur noch eine Nebenrolle

BERLIN taz ■ Die Veranstalter des Turnfestes haben sich mächtig den Kopf zerbrochen, wie man das Großereignis aufpeppen könnte. Man hat dann den Gummistiefelweitwurf ins Programm aufgenommen und eine Currywurstschleuder erfunden. „Es soll ja auch ein bisschen lustig sein“, sagt Rainer Brechtken, der Präsident des Deutschen Turnerbundes, der oberste aller deutschen Turner. Das sind nicht wenige. Über fünf Millionen Menschen sind in den Turnvereinen der Republik organisiert. Hunderttausend Turnbewegte reisen nun zu ihrem Turnfest nach Berlin.

Brechtken sieht darin „eine Botschaft des sozialen Miteinanders“, erwartet, nun ja, „ein großes Fest“, ab Samstag, eine Woche lang. Auch das ZDF gibt dem Feste Geleitschutz, strahlt am Dienstag Promi-Turnen unter Anleitung von Talkvater Johannes B. Kerner aus. Man hat den demografischen Trend erkannt beim Turnerbund. Die Bevölkerung insgesamt wird älter, nicht nur die Zuschauer des ZDF. Aber auch die Jugend hat der Turnbund im Visier. Als Botschafter fungieren die Fernsehfiguren Detlef D! Soost und der „Kinnbart-Teufel“ Martin Kesici, wie es in der Eigenwerbung heißt.

Sie sollen die Botschaft von der Lust an der Leibesübung zur Jugend tragen, jener flatterhaften und bewegungsfaulen Zielgruppe. Die Turnjugend heißt Tuju, so wie das englische „To You“. All dies ist für den Nachwuchs: die Spinning- und Blade-Nights und die sicher dufte Stimmung in den 377 Berliner Schulen sowieso, in denen die Tujus wie die meisten Turner ihre Isomatten entrollen.

Zum Feste finden sich stets Laudatoren ein. So ist es auch bei jenem Spektakel der Faustball-Freunde und Indiaca-Interessierten, der Rhythmusgruppen und Orientierungsläufer, das bereits zum vierten Mal in Berlin ausgetragen wird. Schon 1861 waren 4.000 Turner an die Spree gereist. Im Jahre 1968 kamen bereits 67.000 Teilnehmer, darunter erstmals die Spitzensportler, die ihre Deutschen Meisterschaften während des Turnfestes ausrichteten. „Das Olympia des kleinen Mannes“, wie es so schön heißt, trägt in diesem Jahr erstmals den Titel Internationales Turnfest.

Diese Titulierung ist programmatisch zu verstehen, wie Rainer Brechtken verrät. Damit geht einher, dass die Laudatoren einen Namen scheuen wie das adipöse Kind den Barren: Friedrich Ludwig Jahn. Er trägt ja den fürsorglich-strengen Titel „Turnvater“ und muss sich einer kritischen Prüfung unterziehen, einem Vaterschaftstest gewissermaßen. Die Hauptstadt ist hierfür kein schlechter Ort, eröffnete der deutschbewegte Jahn doch just hier, genauer in der Hasenheide, 1811 den ersten Turnplatz des noch zersplitterten Landes. Der erzkonservative Rauschebart fiel nicht nur durch Aufschwünge am Reck auf, sondern auch „frisch, fromm, fröhlich, frei“ durch antisemitische Untertöne und wenig Fremdenfreundlichkeit: „Hass alles Fremden ist des Deutschen Pflicht.“ Auch scheute der lange Zeit verehrte Pater tornare nicht vor der Verbrennung undeutscher Schriften auf der Wartburg (1817) zurück.

Eine unselige Rolle spielte die Turnerschaft während der Nazizeit. Edmund Neuendorff warf sich unter dem Slogan „Zurück zu Jahn, es gibt kein besseres Vorwärts“ an die Brust der Nationalsozialisten. Weder Bundesinnenminister Otto Schily noch Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit noch Bundespräsident Horst Köhler beziehen sich in ihren Grußworten auf Jahn. Nur der Berliner Verbandspräsident Peter Hanisch geht kurz auf Jahn ein. Brechtken sagt: „Die Betonung auf Internationales Turnfest ist gerade nach dem 8. Mai und der Eröffnung des Holocaust-Mahnmals wichtig, wir wollten ein Zeichen setzen.“

Jahn habe seine Verdienste, er habe „ein vielfältiges Angebot von Leibesübungen unterbreitet, das sich an alle richtete“, sagt Brechtken, aber vieles sei doch obsolet. „Heute geht es um Begegnung, Aussöhnung und Öffnung, nicht um Ausgrenzung anderer.“ Während des Turnfestes gibt es eine Veranstaltung zu Ehren Jahns in der Hasenheide, aber auch ein Symposion, das sich kritisch mit der historischen Figur auseinander setzen wird. „Wir haben unsere Geschichte aufgearbeitet und sind immer noch dabei“, sagt Brechtken, „es gibt da für uns keinen Schlussstrich.“ Das hat der Turnerbund anderen deutschen Sportverbänden voraus. MARKUS VÖLKER