„Ein verlorenes NRW kann auch stabilisieren“

In NRW schrumpft der Abstand zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb – aber nur langsam. Politikberater Matthias Machnig, einst Wahlkampfleiter und Bundesgeschäftsführer der SPD, über die Folgen für die Regierung in Berlin

taz: Ist die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen noch zu gewinnen?

Matthias Machnig: Es gibt noch ein hohes Potenzial an Unentschlossenen. Und es steht noch ein zweites Fernsehduell auf der Tagesordnung. Das kann noch etwas bewegen.

Wenn NRW verloren geht, kann Rot-Grün im Bund dann überhaupt weiterregieren?

Natürlich. Es gibt ja noch eine Mehrheit, und die muss man nutzen. Die Koalition muss sich klar machen, was die Kernaufgaben für die Legislaturperiode sind, und sie umsetzen. Wichtig ist, in dieser Situation Führungsstärke zu beweisen.

Wie geht das, wenn die SPD im Bundesrat nicht mehr an der Union vorbeikommt?

Es gibt ja auch nach der NRW-Wahl keine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat für Schwarz-Gelb. De facto ändert sich an den Machtverhältnissen also nichts. Was sich ändert, ist die Psychologie – und das darf man nicht unterschätzen. Sollte mit Nordrhein-Westfalen die letzte rot-grüne Landesregierung fallen, würde sich das auch auf die Bundespolitik auswirken.

Kippt dann Rot-Grün?

Nein. Die Koalition wird enger zusammenrücken müssen. Das kann auch stabilisierend wirken. Die Ankündigung von Schröder und Fischer, auch nach 2006 weiter zusammenzuarbeiten, ist auch ein Versprechen für den Rest dieser Legislaturperiode.

Soll Bundeskanzler Schröder nun ein Zeichen setzen und das Kabinett umbilden?

Neue Personen lösen noch keine Probleme. Die Regierung muss zeigen, dass sie in zentralen Feldern – Gesundheit, Arbeitsmarkt – handlungsfähig ist.

Gesundheit und Arbeit hieße Ulla Schmidt und Wolfgang Clement. Sind das die Wackelkandidaten im Kabinett?

Nein. Viel wichtiger ist, klarzumachen, was der Unterschied zwischen rot-grüner und konservativer Gesellschaftsarchitektur ist. Eine der erschreckendsten Zahlen der letzten Monate ist, dass 60 Prozent der Leute sagen, dass es ihnen egal ist, wer auf Bundesebene regiert – weil sie keinen Unterschied zwischen den Parteien sehen. Das ist ein großes Problem der SPD, daran muss sie arbeiten.

Ist die Kapitalismusdebatte dann der verzweifelte Versuch, im NRW-Wahlkampf für Unterscheidbarkeit zu sorgen?

Die Debatte war überfällig. Ich sehe darin auch nicht nur Wahltaktik – Kapitalismuskritik ist in der SPD ja kein neues Thema. Die Partei hat damit wieder eine Emotion, eine eigene Identität bekommen. Die Schlüsselfrage lautet: Wie weit ökonomisieren wir unsere Gesellschaft? Dazu müssen sich alle Parteien verhalten. Man sieht doch, wie die Union die Debatte meidet: Sie weiß, dass Kernfragen im Wertekanon des christlichen Menschenbildes, der katholischen Soziallehre berührt sind, die sie mit ihrem jetzigen Programm schlicht zur Disposition stellt.

Laut Umfragen hat die Debatte in NRW nicht geholfen.

Ich sehe das differenziert. Auf die eigene Partei hat das Wirkung. Die Menschen identifizieren und engagieren sich wieder mehr. Es ist aber nicht gelungen, die Wählergruppen anzusprechen, die man braucht, um über 40 Prozent zu kommen. Dazu braucht man andere Instrumente.

Nur kann man die in wenigen Tagen nicht neu erfinden.

Es ist doch in den vergangenen Wochen einiges passiert. Sei es das Entsendegesetz, sei es die Diskussion über Mindestlöhne. Ob das reicht, weiß ich auch nicht. Klar ist: Die Zuspitzung darauf, dass in NRW eine Richtungsentscheidung fällt, ist noch nicht deutlich geworden.

Was würden Sie der SPD empfehlen, um diese Zuspitzung zu erreichen?

Die SPD muss vermitteln, was der Kern ihres Gesellschaftsmodells ist: dass sie trotz aller Modernisierungsmaßnahmen für eine soziale Republik steht und dass Soziales mehr ist als ein Kostenfaktor oder eine Rationalisierungspotenzial. Ich habe das einmal „Sicherheit im Wandel“ genannt. Und es muss klar sein, dass andere die politisch soziale Kultur in diesem Land infrage stellen: McKinsey-Gesellschaft, Ökonomisierung, Reduktion von demokratischer Teilhabe – etwa in den Betrieben.

Wäre eine solche Kampagne 2006 nicht sogar leichter zu führen, wenn NRW verloren geht? Die SPD gegen die totale konservative Herrschaft in den Ländern und im Bund …

Das würde hilflos und wenig überzeugend wirken. Es gibt in Deutschland einen gewissen Zukunftspessimismus. Nur knapp 40 Prozent der Menschen glauben, dass es ihnen in den nächsten Jahren besser gehen wird. Es kann nur eine Partei gewinnen, die Hoffnung, Optimismus und Zukunftsvertrauen vermitteln kann. Wer keine Zukunftskompetenz darstellen kann, wird nicht erfolgreich sein. Eine schlichte Negativkampagne kann nicht erfolgreich sein. Ich kann mich an keinen Wahlkampf erinnern, der so gewonnen wurde.

INTERVIEW: KLAUS JANSEN