Zürcher Geschnetzeltes

SCHNAUZBART Dieter Meier macht den Hansdampf in allen Gassen. Als Musiker, Künstler, Rinderzüchter, Designer und Drehbuchautor hat der Schweizer Erfolge vorzuweisen. Und eine gepflegte Erscheinung ist er auch

Beim vierten Kaffee erzählt Meier, dass er jahrelang professionell Poker gespielt hat

VON JENNI ZYLKA

Typischer Fall von Berufsbezeichnungschaos in der zweiten Zeile der Visitenkarte: Dieter Meier, Polymath? Oder: Dieter Meier, Renaissance-Mann? Künstler ginge auch noch, Ex-Chartsstürmer mit der Elektronik-Band Yello, Regisseur, Designer, Bio-Bauer (Wein und Rinder), Autor, Bankierssprössling – you name it.

Die gesamte Palette zwischen freier Kunst, freier Landwirtschaft und freiem Unternehmertum. Und den daumenbreiten Schnauzbart hat er auch noch erfunden. Wie angeklebt, aber durch langjährige Sehgewohnheit authentisch, teilt er dem 68-jährigen Schweizer die Nase vom Mund ab und ist genauso legendär gepflegt wie der Rest seiner Erscheinung: Wer sagt denn, Freigeistigkeit und Stil könnten nicht Hand in Hand flanieren? Eben. Meier ist kurz in Berlin, um sein Buch „Out of chaos“, eine Werkschau vorzustellen, und lässt sich vorher auf einen Kaffee ein. Er sieht, symptomatisch für Menschen mit schon lange ausgeprägtem individuellem Eleganzbewusstsein (Anna Wintour, F. J. Krüger) jünger aus, als er ist, weil er als junger Mensch älter aussah, als er war. Der Anzug ist aus feinstem Stoff, das Halstuch sitzt, die Uhr auch.

Ach ja, Uhren habe er auch mal designt, erzählt er später, als das Gespräch sich um Marken und Plagiate dreht, man war gerade angenehm lebhaft von Döneken zu Döneken mäandert, von seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Drehbuchschreiben – der erste Film erschien in Wenders’ Filmverlag der Autoren, der letzte lief 2002 auf der Berlinale – über „das Kapitel Yello“ (so nennt er es in seinem „autobiografischen Bilderbuch“) bis hin zur Künstler-Genese.

Die ging schon wunderbar los: Da wurde etwa im Zürcher Tages-Anzeiger von 11. 7. 1970 ein Foto vom damals 25-jährigen anarchistischen Schlaks gedruckt, folgende Unterzeile: „Der Zürcher Dieter Meier wird am Montag, dem 13. Juli auf dem Bellevueplatz in Zürich eine Strecke von 20 Metern abmessen, die beiden Endpunkte der Strecke bezeichnen und die Straße während 60 Minuten in beide Richtungen begehen (…)“.

Hin und her gehen

Die Aktion hieß „Gehen“, Bilder dokumentieren: Meier in Schwarzwweiß, wehendes Haar, schnurgerade Popelbremse, abwesender Miene, drum herum PassantInnen. Doch eigentlich, so schreibt Meier auf einem erklärenden Beitext, war die „Herausforderung dieser Performance nicht, während 60 Minuten auf der vorher abgemessenen Strecke von 20 Metern hin und her zu gehen, sondern den Tages-Anzeiger zu überzeugen, das denkbar unwichtigste Ereignis, dass ein weithin unbekannter Herr Meier während einer Stunde auf dem Bellevue-Platz (…) hin und her gehen würde, vorher anzukündigen“.

Oder seine Fotoserie „Given Names“ von 1976, Bilder von Menschen auf einem New Yorker Bürgersteig, darunter die Zeile „I only saw him once and later gave him a name“, und ein ausgedachter Name: „Arthur Prussak“ ist ein hemdsärmeliger Silver Ager mit schwarzer Sonnenbrille, Mafianase und Sargnagel zwischen den Fingern, „Sylvia Liss“ eine augenberingte Dame mit weißem Trench und gepunktetem Halstuch. In New York hatte er 1971 bereits durch die Aktion „Two words“ die Aufmerksamkeit in Form der New York Times auf sich gezogen. An der Ecke 57th Street und 8th Avenue in Manhattan hatte er sich hinter einer Tafel platziert, darauf: „DIETER MEIER BUYS THE WORD YES OR THE WORD NO FOR ONE DOLLAR“. Hatte für 387 US-Dollar Worte erworben, bis die Polizei ihn mitnahm (und später wieder laufen ließ).

Und ja, den Kauf konnte er sich leisten, und nein, es ging ihm nicht um die Aufmerksamkeit. Auch ein Jahr später nicht, als er eine Einladung der Documenta ignorierte (1994 war er doch noch dabei). Es ging ihm immer ums Machen. Oder ums Können. Ein Jack of all trades ist er aber nicht, denn das englische Pendant zum deutschen „Hansdampf in allen Gassen“ hat noch den zynischen Nachsatz master of none. Meier dagegen kann erstaunlicherweise tatsächlich, was er anfängt.

Dass er jahrelang professionell Poker gespielt hat, erzählt er beim vierten Kaffee, und wenn man fassungslos fragt, wann das denn gewesen sein soll – es gibt außer der Kunstkarriere auch noch die Erfolggeschichte seiner Band mit den zahlreichen Hits, es gibt die Biorinderzucht in Argentinien, den Weinbau, Design, Drehbuch, und, ach ja, ein paar bereits erwachsene Kinder hat er auch – dann sagt er: zwischen 19 und 23.Und da heißt es immer, Schweizer seien ein argwöhnisches Bergvölkchen.

Im „Roxy“ um halb vier

Die Yello-Episode, die das Buch von den schwarz-weißen Dokumenten der frühen Siebziger in die bunten Dancefloor-Zeiten der späten Siebziger und grellen Achtziger wirft. Und die beeindruckend funktionierte: Meier bewundert den Partner Boris Blank, ebenfalls Bartträger, aber Menjou, einen besessenen, „klangsüchtigen“ Soundtüftler und Elektromusiker. Meier erzählt von einem legendären New Yorker Dance-Club, dem „Roxy“, thee place to be in those days, wo Yello ihr erstes New York Konzert 1983 nachts um halb vier und nach African Bambaata absolvieren sollten. Und wo, von Diane Brill angekündigt, eine Westcoast-Band erwartet wurde, nicht zwei Schweizer Weißbrote mit so viel Elektronik, dass nach fünf Minuten „der geklaute Strom zusammenbrach“.

Übers Bett hängen

Es war natürlich trotzdem irgendwie ein Triumph. Genau wie die späteren Hits, in Deutschland etwa „The race“ als Soundtrack zu jedermanns Achtzigern. Meiers umtriebiges Leben glänzt im Buch weiterhin als Foto-Text-Collage. In Havanna sitzt der junge Anton Corbjin zwischen Meier und Blank. Auch Shirley Bassey sitzt da. Eindrucksvoll auch ein Filmstill aus „Jetzt und alles“ , seinem Regiedebüt, auf dem Richy Müller zu sehen ist, und Meier erinnert sich: Der Film „hatte in Spiegel, Stern und in der NZZ gute Besprechungen, von denen der Produzent sagte: Herr Meier, die Dinger können Sie sich übers Bett hängen“.

Bilder, Ausstellungsplakate, ein Kapitel mit der Überschrift „Busy going nowhere“, es stammt aus den Neunzigern, das sei ohnehin sein Motto, sagt Meier. Man könnte ewig so weiterreden, es ist ungemein beflügelnd, mental so wenig Schranken vorzufinden. Vielleicht noch kurz die Kunstaktion mit der goldenen Kugel streifen, die seit 2008 für hundert Jahre in einem Schacht im Zürcher Hauptbahnhof liegen soll, und an acht Daten von einem Mitglied der ominösen Association des Maitres de Rien (AMR), dessen Präsident natürlich Meier selbst ist, herausgenommen und eine bestimmte Strecke gekugelt wird. Aber Meier muss in eine Talkshow, der Manager drängt, der Kaffee ist alle.

Das Konzert am Sonntag mit der „Out of chaos“-Band steht im Zeichen kratziger Chansons, begleitet von echten Menschen, vielen Saiten, Harmonie. Bestimmt nur wegen der brandneuen Berufsbezeichnung: Dieter Meier, Crooner.

■ Dieter Meier & Out of Chaos live, Volksbühne, 18. März, 20.00 Uhr

■ Dieter Meier, „Out of Chaos – ein autobiografisches Bilderbuch“. Edel Books, Hamburg, 2011, 328 Seiten, 36 Euro