Machtgeil sind hier alle

Die nachtschwarzen Seiten der Tragödie konsequent herausgeschält: Hanna Rudolphs über weite Strecken gelungene Diplominszenierung „Macbeth“ ist letztmals auf Kampnagel zu sehen

von Karin Liebe

Was da auf den Kopf sprudelt, ist kein Schampus, sondern Wasser. Aber der Akt der Demütigung und der arroganten Machtbekundung ist derselbe. Wie neulich der Bremer Senator Peter Gloystein, so lässt auch der schottische König Duncan (Alexander Grünberg) in Hanna Rudolphs Schauspielprojekt Macbeth einen Vertreter des Fußvolks wie einen begossenen Pudel dastehen.

War beim inzwischen ehemaligen Senator das Opfer ein Obdachloser, ist es bei Duncan sein eigener Sohn Malcolm – man muss nach aktuellen Bezügen von Shakespeares Vorlage nicht lange suchen. Offensichtlich werden Machtgeilheit und Aggressivität auch heute nicht immer in zivilere Bahnen gelenkt als zu Shakespeares Zeiten. Hanna Rudolph schält in ihrer gelungenen Diplominszenierung auf Kampnagel konsequent die nachtschwarzen Seiten der Tragödie heraus und reduziert sie geschickt auf Kernsätze und Kernfiguren.

Ein wilder Haufen ist da auf der fast kahlen, schwarzen Probebühne versammelt. Das auf sieben Personen reduzierte Personal steckt ausnahmslos in schweren Stiefeln und Pelzmänteln, nur Banquos Sohn, ein blutjunger Kerl, trägt noch eine leichte Felljacke als Zeichen seiner Unschuld. Denn die Menschheit, so erfahren wir bereits in der ersten Szene, hat ihre Unschuld längst verloren.

Ein starker Anfang, wenn aus dem Off eine weibliche Stimme die Schöpfungsgeschichte vorträgt – über die Weisung Gottes an die Menschen, sich die Tiere untertan zu machen, bis zum Sündenfall im Paradies. Am Bühnenrand blättert die Hexe (Iris Faber) dazu stumm in der Bibel und wirft das Buch der Bücher schließlich achtlos weg. Dann erst spricht sie ihre Prophezeiung aus, dass Macbeth schottischer König sein wird, und bringt den Stein des Bösen ins Rollen.

Machtgeil sind hier alle, laut und aggressiv stellen sie ihre Potenz zur Schau. „Musik!“, ruft Lady Macbeth, unter deren Pelzmantel sich ein rotes Samtkleid verbirgt, und dann scharen sich zum festlichen Empfang von König Duncan auf Schloss Inverness Gäste und Gastgeber rund um das zerschlissene schwarze Sofa. Zu Hardrock-Klängen stampfen sie mit ihren derben Stiefeln im Takt, zucken mit den Köpfen im Rhythmus, Lady Macbeth und Banquo schrammen noch mit der Luftgitarre dazu. Ein wilder Haufen, martialisch im Auftritt, bereit zur Gewalt. Die lässt auch nicht mehr lange auf sich warten.

Macbeths Zögern, seine Zweifel daran, König Duncan zu töten, gehen bei Rudolphs powergeladener Inszenierung etwas unter. Simon Zigah als Macbeth ist schon rein äußerlich ein Schrank von einem Mann, ein kantiger Typ mit Rastalocken, der so aussieht, als könne er vor Kraft nicht laufen. Als Zeichen besonderer Macht trägt er einen echten Fuchsschwanz als Kragen – wie auch König Duncan stets einen Fuchsschwanz in Händen hält.

Doch Macbeth kann auch leichtfüßig tänzeln und elegant seine Lady auffangen, die sich ihm vertrauensvoll in die Arme wirft. Samantha Viana ist keine dämonische Lady Macbeth, sondern eine dominante Powerfrau, begierig nach Leben und Action. Sie stachelt den Karrierewunsch ihres Mannes bis zur vollendeten Tat an. Die blutverschmierten Hände streckt Simon Zigah dann vor dem Publikum aus, reibt sich das rote Nass in die Haut, sodass die Zuschauer in der ersten Reihe befürchten müssen, ein paar Spritzer abzubekommen.

Da nur wenige Zentimenter Bühne und Zuschauerraum voneinander trennen, bleibt auch sonst nur wenig Distanz. Allzu oft wird das Publikum direkt angesprochen, laufen die Schauspieler ziellos vor ihm auf und ab und nehmen der Inszenierung so die Kraft. Auch die humoresken Einlagen von Will Workman als ziemlich ausgeflippter Banquo zeigen zwar komödiantische Qualitäten, lenken aber eher vom Geschehen ab. Trotzdem schafft es Hanna Rudolph über weite Strecken, einen hoch konzentrierten, spannenden, kraftvollen Macbeth auf die Bühne zu bringen, der einen nicht kalt lässt. Und der Lust macht auf mehr von dieser Powerregisseurin.

letzte Vorstellung: heute, 20.15 Uhr, Kampnagel