„Raus aus der Spirale nach unten“

Hamburg braucht eine Schule für alle: Der neue GEW-Vorsitzende Klaus Bullan stellt im taz-Interview die Systemfrage. Den CDU-Senat fordert er auf, Leuchtturmprojekte nicht auf Kosten von Bildung und Sozialem zu finanzieren

Interview: Kaija Kutter

taz: Die Abwehr der Kürzungen in der Hamburger Bildungspolitik war wenig erfolgreich. Heute gibt es rund 500 Lehrer weniger als 2001, aber rund 5.000 Schüler mehr. Lag das auch an der GEW?

Klaus Bullan: Ich glaube nicht, teile aber die Einschätzung, dass die Abwehrkämpfe nicht erfolgreich waren. Das betrifft aber nicht nur den Bildungsbereich, sondern alle Gewerkschaften.

Was hat Sie dennoch bewogen, den Job des GEW-Vorsitzenden zu übernehmen?

Ich bin im Kern optimistisch, dass wir etwas verändern können. Ich kenne die soziale Ungerechtigkeit unsere Bildungssystems aus eigener Anschauung, da muss was geschehen. Ich habe 28 Jahre als Berufsschullehrer mit benachteiligten Jugendlichen gearbeitet. Da sind Schüler in zweiter und dritter Generation ohne Chance auf Ausbildung, und das hat nichts mit ihrer Begabung zu tun. Die meisten Ausbildungsplätze bekommen Abiturienten. Junge Migranten sind da schon systembedingt benachteiligt, sie sind überproportional oft in Förder- und Hauptschulen und unterproportional an Gymnasien. Aber die Politik tut nichts, dies abzustellen. Es hilft nicht, die Hauptschule zu stärken, wir brauchen eine Schule für alle.

Schwer durchzusetzen.

Ich bin optimistisch, dass wir immer mehr Köpfe dafür gewinnen. Als 2001 die PISA-Ergebnisse vorlagen, haben selbst die Grünen noch eine Strukturdebatte abgelehnt. Inzwischen ist auch die SPD in Teilen für eine Gemeinschaftsschule.

Viele der Lehrer, die sie vertreten, sind schlicht gefrustet.

Das stimmt. Ich glaube aber nicht, dass die derzeitige neoliberale konservative Politik auf Dauer erfolgreich ist. Die Bildungspolitik ist die Achillesverse dieser CDU-Regierung. Bildungssenatorin Dinges-Dierig hat die schlechtesten Umfragewerte. Die scheinbare Vormacht der Konservativen hier in Hamburg ist sehr brüchig.

Sie warten auf die Abwahl?

Wir müssen mit unserem Widerstand so stark sein, dass auch künftige Regierungsparteien daran nicht vorbeikommen und andere Prioritäten setzen. Sicher, drei Viertel des Haushalts sind festgelegt, aber es ist falsch, zu sagen, wir setzen auf Leuchtturmprojekte und finanzieren dies aus dem Sozial- und Bildungsbereich.

Hamburg gibt bundesweit angeblich immer noch am meisten Geld pro Schüler aus.

Ist aber kräftig dabei, diesen Vorsprung abzubauen. Außerdem werden da Äpfel mit Birnen verglichen. Wir müssen Hamburg nicht mit Flächenländern, sondern mit anderen Ballungsräumen wie München oder Frankfurt vergleichen, wo die Bevölkerungsstruktur ähnlich ist. Abgesehen davon müssten die Ausgaben für Bildung ins Verhältnis zu Hamburgs Bruttoinlandsprodukt gesetzt werden. Da sieht es dann schon ganz anders aus. Wir sagen aber auch gar nicht, wir wollen, dass auf einen Schlag alle unsere Forderungen erfüllt werden und Lehrer nur noch 18 Stunden unterrichten. Wir wollen, dass der Senat guten Willen zeigt und wir einen Ausstieg kriegen aus dieser Spirale nach unten.

Haben sie schon einen Termin bei der Senatorin?

Wir sind für die Behörde kein Gesprächspartner, obwohl wir 9.000 Menschen im Bildungsbereich vertreten.

Die CDU fordert, Sie sollen sich von der PDS distanzieren.

Es ist absurd, wenn eine Partei mich als Vorsitzenden einer Einheitsgewerkschaft auffordert, mich von einer anderen Partei zu distanzieren. Die verstehen nicht, was eine Einheitsgewerkschaft ist. Bei uns gibt es CDU-Mitglieder, Grüne, SPD-Mitglieder, PDS-Mitglieder und bestimmt auch welche von der FDP. Das spielt aber keine Rolle, entscheidend ist, wie sie hier in der GEW mitarbeiten. Ich bin Mitglied in der „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“, weil ich überzeugt bin, dass Gewerkschaften eine Vertretung ihrer Interessen im politischen Raum brauchen.

Was ist mit dieser CDU bildungspolitisch möglich? Immerhin will sie ja nun auch eine Kooperative Schule einführen, die die Kinder erst nach Klasse 6 in Schulzweige aufteilt.

Von dem Plan halte ich relativ wenig. Wir müssten aber erst mal mit der CDU reden, welche Ziele sie damit verfolgt. Auch die Konservativen haben kein Konzept, wie es mit dieser Gesellschaft weitergehen soll, und stochern im Nebel. Wenn es ihnen darum geht, Bildungsbenachteiligungen abzubauen, unterhalte ich mich über alles. Alle Menschen sollten mit höchstmöglichem „Bildungskapital“ ausgestattet werden. Wenn nur wenige diese Chance erhalten, ist es auch für die Bessergestellten schlecht. Schließlich werden sie ja doch am Hauptbahnhof mit dem Elend konfrontiert.