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: Helmut Höge über die ans Licht gezerrte Arbeitslosigkeit in Oberschweineöde

Der vorletzte Großbetrieb macht dicht!

So wurde und wird die von den Kommunisten bloß listig „versteckte Arbeitslosigkeit“ in Oberschöneweide ans Licht gezerrt: Zuerst riss man 1990 die Gebäude des VEB Berliner Metall- und Halbzeugwerke (BMHW) ab – und errichtete auf dem Gelände einen Supermarkt. Dann wurde das Institut für Nachrichtentechnik (INT) nebenan erst von der deutschen Alcatel-Tochter „Standard Elektrik Lorenz“ erworben – und 1992 abgewickelt. Das Gebäude erwarb ein Immobilienhändler, der dort eine Spielhalle einquartierte. Das gegenüberliegende Transformatorenwerk (TRO) wurde gleichzeitig von der Daimler-Tochterfirma AEG (wieder) übernommen, die 46 Millionen Mark an Fördermitteln investierte. Dann erwarb aber die Alcatel-Tochterfirma GEC Alsthom Teile der AEG – und diese musste dafür ihr TRO-Werk stilllegen. Die Uferimmobilie übernahm ein ehemaliger Manager von Ruhnke-Optik – und machte daraus ein Kunstzentrum, das nun ein „touristischer Anziehungspunkt“ erst Ranges werden soll – laut Quartiersmanagerin Heidemarie Mettel.

Ähnlich verlief die „Privatisierung“ des riesigen Kabelwerks Oberspree (KWO) nebendran, das mit großem Trara von der British Callendar Company (BICC) gekauft wurde – dann aber ebenso wie die Berliner Kabelwerke von Siemens und Alcatel dicht machte. In die Rathenauvilla auf dem Gelände zog die Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (BLEG): Aus einem Teil der denkmalgeschützten Gebäude machte sie ein „Handwerks- und Gewerbezentrum“. Zudem war sogar ein Yachthafen geplant. Inzwischen wurde die BLEG jedoch ebenfalls abgewickelt.

Vorher steckte sie aber noch einige Anwohner mit ihrem Optimismus an: So ließ sich zum Beispiel der Wirt der Schichtarbeiterkneipe „Sporti“ zur Fortbildung nach Las Vegas schicken, als er zurückkam, hatte seine Frau bereits Konkurs angemeldet. Ähnlich ging es dem Wilhelminenstraßen-Entwickler Manfred, der erst mit einem Thaibordell, dann mit einem potenzstärkenden Gelee-Royale-Mittel aus China scheiterte – und schließlich an einer Kartoffel erstickte.

Auch der Westjournalist Carsten Otte, der sich zwecks Recherche für seinen Roman „Schweineöde“ vor Ort einmietete, scheiterte: Sein Buch denunziert bloß die Dauerbewohner dieses größten Berliner Industriegebiets, das Emil Rathenau einst auf der grünen Wiese errichten ließ. Sein dortiges Autowerk NAG krönte der Architekt Peter Behrens einst mit einem Turm am Spreeknie, in dem sich zuletzt ein Technik-Museum befand. Jetzt steht der Turm jedoch leer.

Aus der NAG-Fabrik wurde zu DDR-Zeiten das Werk für Fernsehelektronik (WF), das 1992 von Samsung übernommen wurde. Die Koreaner beschäftigen heute deutlich mehr als die 1.000 Mitarbeiter, die sie damals übernahmen. Der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Kippel meint: „Wer es schafft, bei Samsung reinzukommen, der verlässt den Betrieb als Rentner.“ Die Koreaner wollten 1995 auch noch den sächsischen Öko-Kühlschrankhersteller Foron übernehmen, aber die Siemens AG schrieb ihnen: Sie würden das als „unfreundlichen Akt“ ansehen – prompt zog Samsung seine Offerte zurück.

Vis à vis übernahm die BLEG 1993 ein Grundstück und errichtete dort ein „Technologie- und Gründerzentrum Spreeknie“ (TGS), in das einige outgesourcte WF-Gewerke und eine Qualifizierungsgesellschaft einzogen. Daneben befindet sich die Berliner Akkumulatoren- und Elementefabrik (BAE), ihr Gründer Quandt ließ dort ebenfalls seine Villa errichten. Nach der Wende wollte seine westdeutsche Firma Varta wieder bei der BAE einsteigen, sie kam jedoch nicht über Absichtserklärungen hinaus, stattdessen privatisierten leitende Angestellte die BAE, wobei sie sich jedoch von ihrem Betriebsteil Gerätebatterien (Belfa) trennten.

Die Belfa erwarben zwei Münchner, die eine Private-Label-Stategie verfolgten, mit der sie 2001 Pleite gingen. Nun hat auch das Industriebatteriewerk BAE Konkurs angemeldet, weil die Bleipreise aufgrund der starken chinesischen Nachfrage von 400 auf 700 Euro pro Tonne stiegen. Aus dem BAE-Verwaltungsgebäude machte derweil ein Köpenicker Sozialhilfeverein ein „WAS-Haus“ („Wohnen – Arbeit –Sucht“). Aus dem BAE-Kulturhaus wurde ein „kurdisches Kulturzentrum“, das jedoch schnell Pleite ging – seitdem steht das riesige Gebäude leer. Alle Hoffnungen, auch der Kneipenwirte, richten sich nun auf das KWO-Gebäude, in das die Fachhochschule für Wirtschaft und Technik (FHTW) einziehen soll. Diese möchte jedoch lieber in Karlshorst bleiben.

Zu DDR-Zeiten arbeiteten in Oberschöneweide 30.000 Menschen, jetzt sind 80 Prozent der Bewohner Sozialhilfeempfänger, wie eine Studie der Supermarktkette „Kaiser’s“ ergab. Die dortige Filialleiterin schaffte bereits den „langen Donnerstag“ ab.