Die Bühne für einen Tag

Beim Karneval der Kulturen führt der Brasilianer Danilo da Silva den „Bloco Pelodum“ durch die jubelnde Menge. Im Alltag aber werde er von der Gesellschaft nicht akzeptiert, sagt seine Frau

von JOHANNES GERNERT

Die Leute hören: Ach, ihr macht Samba? Dann ist die erste Frage: Habt ihr Tänzerinnen? „Klar, was die meinen“, sagt Ina da Silva. „Die meinen die Mädels mit den Tangas.“ Das sind die Klischees. Und deshalb geht es beim Karneval der Kulturen darum, „die Kultur den Leuten vermitteln und nicht die üblichen Klischees“, findet Ina da Silva. „Seine Kultur“, sagt sie, die ihres Mannes. Danilo da Silva ist Brasilianer, 28 Jahre alt und stammt aus Salvador de Bahia. Sie hat ihn vor einigen Jahren kennen gelernt, auf ihrer ersten Brasilien-Reise. Beim zehnten Karneval der Kulturen sind die beiden mit ihrem „Bloco Pelodum“ zum dritten Mal dabei. Eine von etwa siebzig Gruppen. Sie haben auch Tänzerinnen. Aber die Tänzerinnen tragen keine Tangas, sondern Jeans oder Leinenhosen. Und sie kommen nicht aus São Paolo oder Rio de Janeiro, sondern aus Essen und Mönchengladbach. Die meisten tanzen auch nicht so sehr, sondern trommeln vor allem.

Es ist Sonntag, kurz vor halb eins. Der Himmel über dem Hermannplatz unterscheidet sich farblich kaum von den vielen grauen Häusern. Das „Bloco Pelodum“ hat sich gerade mit ein paar ersten Schlägen auf die Trommelfelle warm gemacht. Und jetzt klatschen plötzlich alle und johlen, weil für den Bruchteil eines Augenblicks eine Art Sonnenstrahl zu sehen war. „Wir haben gebetet“, schreit Marion Hauke. Sie trommelt seit acht Jahren in einer Samba-Gruppe in Mönchengladbach. Beim „Bloco“ ist sie noch nicht so lange dabei.

Die Leute kommen aus ganz Deutschland, von überall daher, wo Danilo da Silva einmal einen Workshop mit ihnen gemacht hat. „Bahia Samba“, bringe er ihnen bei, sagt Marion Hauke, „sehr kraftvolle, urtümliche Rhythmen, die hat so jeder irgendwie in sich drin“. Am Vortag haben sie alle zusammen noch einmal in der Tanzfabrik in Kreuzberg geprobt. So ein Karneval erfordert Kondition. „Das ist jetzt kein Spaziergang, was wir hier machen“, sagt Marion Hauke. „Man braucht da schon ein bisschen Fitness-Training.“

Dann hört sie Danilo da Silvas Trillerpfeife, schnallt sich schnell ihre Trommel vor den Bauch und stellt sich in die letzte Reihe. Es geht ein bisschen früher los als geplant. Die Veranstalter haben wohl Angst vor dem Regen.

Als der Zug aus der Urbanstraße in die Hasenheide einbiegt, sind kaum Zuschaueraugen zu sehen, nur Kameras. Man ist angestrengt darum bemüht, möglichst viele Augenblicke zu konservieren. Nur eine Frau in Schwarz macht am Straßenrand ähnliche Tanzschritte wie die Tänzerinnen und Trommler vom „Bloco Pelodum“. Erst als nach einigen Gehminuten am Wegesrand neben einer Currywurstbude der erste Caipirinha-Stand auftaucht, scheint die Menge zusehends entspannter zu werden. Am Mehringdamm schließlich wird beinah ständig geklatscht und geschrien. Zwischendurch laufen ein paar brasilianische Freunde des Samba-Lehrers ein Stück mit dem Zug und muntern das Publikum zum Mitmachen auf. Die da Silvas haben einige Jahre in Berlin gelebt, bevor sie vor zwei Jahren nach Essen gezogen sind.

Danilo da Silva streckt seine Hände gen Himmel und macht mit den Fingern Zeichen. Ein paar Trommeln setzen aus und die Drum-Sticks tauchen lautlos in die Luft, eine Wellenbewegung. Manchmal machen alle eine ganz kurze Pause und in die Stille hinein schreien sie „Hey!“. Wenn sie sich zwischenzeitlich kurz erholen und einen Schluck Wasser trinken, werden manche Zuschauer ungeduldig. Dann schreien auch sie „Hey, hey, hey!“ und werden dabei immer schneller, bis Danilo da Silva seine Samba-Gruppe zurück in Reih und Glied pfeift. Er läuft vor den Trommlern her, seine Haare sind zu Zöpfen geflochten, er hat so eine Brille umhängen, wie sie Piloten in alten, offenen Flugzeugen tragen. Seine Frau hat sich ein Tuch mit der brasilianischen Flagge darauf um den Kopf gebunden.

Sie war mal seine Schülerin, in Brasilien. So haben sie sich kennen gelernt. Er hat als Percussionist in verschiedenen Bands gespielt. Als Musiker werde er auch in Deutschland respektiert. „Wenn sie auf der Bühne sind, findet jeder sie toll“, sagt Ina da Silva. Aber sobald sie die Bühne verlassen haben, steht an der nächsten Ecke vielleicht schon die Polizei und will Ausweise kontrollieren. Und überall werden sie gefragt, „ob sie nicht was zu verticken haben“. Das ist noch viel schlimmer. „Wir rauchen nicht mal“, sagt Ina da Silva. „Und wir trinken auch nicht.“

Der berufliche Erfolg tröstet nicht darüber hinweg, dass „Danilo als Mensch in der Gesellschaft überhaupt nicht akzeptiert ist“. Sie ist nicht ganz sicher, ob Veranstaltungen wie der Karneval daran etwas ändern. Obwohl das natürlich eine „öffentliche Präsentationsfläche“ ist. Aber hauptsächlich wird gefeiert. Für den Kulturaustausch sind Workshops und Kurse wichtiger, glaubt sie. Dabei kommt man intensiver ins Gespräch und man kann das „verfälschte Bild“, das manche von Brasilien haben, ein bisschen korrigieren. Worauf es ihr ankommt: „Offenheit gegenüber anderen Kulturen“. Sie denkt kurz nach: „Klingt ein bisschen platt, ne.“

Vor dem „Bloco Pelodum“ tanzen Männer mit Sonnenbrillen in schwarzen Anzügen um einen Wagen herum. Felipe Orobon hat eine abgekaute, kalte Zigarre im Mundwinkel und im Gesicht das breiteste Grinsen von allen. „El Patio“ ist ein lateinamerikanischer Verein aus Moabit, seit Jahren beim Karneval dabei. „Immer sozialkritisch“, schreit Felipe Orobon. „Das ist halt unsere Macke, das können wir nicht lassen.“ Es wird keiner verstehen, befürchtet er. Die Leute sehen nur tanzende Männer mit Zylinderhüten auf dem Kopf. An den Hüten hängen Wasserhähne. Und oben auf dem Wagen wackelt ein mit Blumen geschmückter Brunnen im Takt zu den Trommelschlägen der Samba-Gruppe. „Der Brunnen mit den schönen Mädels soll bei uns das freie Wasser für alle bedeuten“, erklärt Orobon. Er zitiert Zahlen aus einem UNO-Bericht über die katastrophale Weltwasserversorgung. Die Männer in Schwarz sind böse, die wollen das Wasser privatisieren. So performed man hier Politik. Die Anschlussfähigkeit ans Publikum allerdings ist wohl nur bedingt gewährleistet. Schließlich besinnt sich Felipe Orobon auf eine griffigere Formel: „Hauptsache Spaß und kein Regen.“

Es nieselt an diesem Nachmittag auch nur ein ganz klein wenig und gar nicht lange. Manche Zuschauer schwingen ihre geschlossenen Schirme im Rhythmus. Marion Hauke treibt mit den gepolsterten Knien die bierfassgroße Trommel vor sich her. Links zwei Schritte nach vorn, rechts zwei Schritte. „Ich fühle mich so, als ob ich Kilometer 35 geschafft hätte beim Marathon“, sagt sie irgendwann. „Man ist einfach nur glücklich.“ Ein paar Schritte noch, dann hebt Danilo da Silva seine Hände und dirigiert den finalen Schlag. „Jetzt erst mal Feierabend“, sagt seine Frau.