Ode an die Eleganz

Nach sechsjährigem Warten wird der FC Barcelona endlich wieder spanischer Fußball-Meister. Zu verdanken hat er das auch dem Konzept des Erzfeindes aus Madrid, das er perfektioniert hat

AUS BARCELONA RONALD RENG

Ronaldinho hatte sich nicht viel Zeit genommen, um sich für die Feier schick zu machen. Er hatte sich eine Krawatte geliehen, dass sie gut saß, konnte man nicht behaupten: Er hatte sie sich um den Kopf gebunden. Ansonsten war er am Morgen danach bei der Ankunft auf dem Flughafen von Barcelona noch genauso gekleidet wie sechs Stunden zuvor im Stadion in Valencia: in Trikot und kurzer Hose; sogar die Schienbeinschoner hatte er noch an.

Mit Nebensächlichkeiten wie Umziehen wollte sich niemand aufhalten. Dieser Verein hatte lange genug gewartet. Sechs Jahre danach wurde der FC Barcelona am Samstag endlich wieder und zum 17. Mal spanischer Meister, und das war dem Fest, das folgte, vor allem anzusehen: wie lange sie schon nichts mehr zu feiern gehabt hatten. Eine Million Fans standen Spalier, als die Mannschaft um Ronaldinho, dem Weltfußballer des Jahres, am Sonntag im offenen Doppeldeckerbus ihren Triumphzug durch die Stadt nahm.

Barca, einer der fünf größten Fußballklubs der Welt, ist in seinem Selbstverständnis immer der schwer leidende Außenseiter geblieben, dem kein Missgeschick erspart bleibt, ehe er irgendwann doch für seine Aufopferung belohnt wird. „Barca-Fan zu sein, schweißt zusammen“, sagte ein glühender Fan in der Meisternacht, „denn wir müssen uns für unsere Triumphe so viel mehr anstrengen.“ Es war Spaniens Regierungspräsident José Luis Zapatero. Er musste noch etwas loswerden: „Heute haben alle Madridistas ihre Mobiltelefone ausgeschaltet!“ Sie schaffen es in Barcelona nicht, ohne Schadenfreude zu feiern. Bei jedem Triumph geht es auch darum, dass der ewige Rivale Real Madrid nichts zu lachen hat. Es war nicht jedermanns Geschmack, als Samuel Eto’o, mit 24 Ligatoren der überragende Stürmer, live im Fernsehen sang: „Madrid, du Hurensohn, huldige dem Meister!“

So sehr der Mythos vom Lohn nach langen Jahren des Leidens auch strapaziert wurde, so war diese Meisterschaft doch ein Triumph der Leichtigkeit. Barca spielte in einer Klasse für sich. Mit sieben Siegen in Serie gelang es Real Madrid in den jüngsten Wochen zwar wenigstens eine Ahnung von Spannung aufrechtzuerhalten. Doch als Reals Hetzjagd am Samstag mit einem 2:2 beim FC Sevilla aufgehalten wurde, reichte Barca ein 1:1 in Valencia bei UD Levante. Zwei Spieltage vor Saisonschluss sind sie uneinholbar. In Erinnerung wird dieses Barca als die Mannschaft bleiben, die Fußball zum Kinderspiel machte. Und schon in ein paar Jahren, wenn die Verklärung einsetzt, werden viele behaupten: Es war die schönste Elf, die sie je sahen. Ganz so falsch wird das dann gar nicht sein.

Wer ihnen zusieht, kommt mit dem Atmen nicht mehr hinterher. So schnell rollt der Ball, so flink wechseln sie die Positionen. Eine Elf wie eine Ode an die Eleganz. Die Rolle der klassischen Nummer 10, im Zentrum direkt hinter den Stürmern, bleibt im System von Trainer Frank Rijkaard unbesetzt, es war ein entscheidender Faktor des Erfolgs, vor allem aber ein Symbol: In diesem Barca haben fünf, sechs die Fähigkeiten des Königsspielers. Ronaldinho, Xavi, Iniesta, Guily, Eto’o, und, der, der den Rhythmus setzt, der Kaiser unter Königen, Deco, passen und dribbeln wie in sterblichen Teams nur einer. Ihr System ist das des Perpetuum mobiles: ein niemals endender Fluss von Energie. So entstand ein Angriffsfußball, der auch die beste Verteidigung war: Barca schoß in der Liga bislang nicht nur die meisten Tore (70), sondern kassierte auch die wenigstens (26).

2004/05 war auch das Jahr, als die Galaxis verglühte, das Projekt von Madrids Präsident Florentino Pérez, nur mit galácticos, Weltstars, und Spielern aus dem eigenen Jugendteam, eine einmalige Elf zu gründen. Niemandem scheint aufgefallen zu sein, dass neues Leben in der Galaxis ist: Wie die Japaner Autos oder Taschenrechner des Westens, so hat Barca Pérez’ Konzept kopiert und perfektioniert: Galaktische wie Ronaldinho und Deco geholt und der Jugend eine Chance gegeben. 11 der 20 Spieler, die gegen Levante im Aufgebot standen, bildete Barca selber aus, unter anderem Kapitän Carles Puyol, Torwart Victor Valdés oder Xavi. Davon redet Bayern Münchens Präsident Karl-Heinz Rummenigge nie, wenn er sagt, die Bundesliga bräuchte mehr Geld vom Fernsehen, um Stars wie Barca kaufen zu können.

Noch ist die schönste Elf nicht die beste, das bewies ihr Ausscheiden im Champions-League-Achtelfinale gegen Chelsea, das kein Zufall war. Barca muss lernen, gegen ihresgleichen, die absolute Spitze, ein besseres Gleichgewicht zwischen Vorsicht und Attacke zu finden. Eine Ära im heutigen Spitzenfußball ist meist nur von lächerlich kurzem Verweil. Doch das Beste liegt noch vor diesem Barca.