DIE PERSONALGESCHICHTE ALLER BUNDESMINISTERIEN GEHÖRT ERFORSCHT
: Auf die Köpfe kommt es an

Man fragt sich, warum nicht schon früher jemand auf die Idee gekommen ist. Da haben in den vergangenen Jahrzehnten Dutzende von Einzelfällen prominenter Exnazis in Politik und Verwaltung Schlagzeilen gemacht, da haben große deutsche Unternehmen von teils prominenten Historikern ihre NS-Vergangenheit durchleuchten lassen. Nur den Einfall, die Regierung könne doch mal die personelle Kontinuität in den Bundesministerien nach 1945 durchleuchten lassen, hatte bisher offenbar niemand.

Otto Schily hat den Vorschlag, das Versäumte anlässlich des Streits über die Vergangenheit des Auswärtigen Amts nun endlich nachzuholen, in gewohnt schnoddriger Manier zurückgewiesen. Die Bundesregierung sehe sich nicht in einer Kontinuität zur NS-Reichsregierung, so Schily, folglich hätten die Ministerien auch keine nationalsozialistische Vergangenheit. Die Argumentation ist so absurd, dass es schwer fällt, ernsthaft darauf einzugehen: Akzeptiert man diese Logik, dann fragt man sich, warum die Bundesrepublik erst in der vergangenen Woche mitten in Berlin ein riesiges Mahnmal für die Verbrechen eines wildfremden Staates eingeweiht hat.

Schily übersieht völlig die Übernahme alter Nationalsozialisten in die neu gegründeten Bundesministerien nach 1949. Dieses Phänomen ist bisher überwiegend anhand von Einzelfällen angeprangert, aber noch nicht systematisch aufgearbeitet worden. Hier geht es um Akten, insbesondere um Personalakten, zu denen nur die Ministerien selbst oder eine von ihnen beauftragte Kommission Zugang haben, hier geht es um die politische Geschichte der obersten deutschen Behörden. Und zwar quer durch alle Ressorts – von den Beamten des Finanzministeriums, die vor 1945 die besetzten Länder ausplünderten, bis zu den Mitarbeitern des Forschungsministeriums, die beim Atomprogramm der 1960er-Jahre womöglich an eigene Erfahrungen aus der Zeit vor 1945 anknüpften. Weil ein Neuanfang ganz ohne NSDAP-Mitglieder mangels unbelasteter Anwärter wohl in der Tat nicht möglich war, wird eine solche Untersuchung differenziert ausfallen müssen. Dass sie nötig ist, daran gibt es keinen Zweifel. RALPH BOLLMANN