: Jedes Heimweh und Verlangen ist vergessen, ist vergangen …
KINDERBUCH Gemeinsam über das Weltall sinnieren – Geschichten und Lieder von unterwegs mit Mélanie Rutten, James Krüss und Anke Bär
VON EVA-CHRISTINA MEIER
Nestor mosert. „Ich mag keine Reisen!“, sagt er, als er erfährt, dass er auf der Tombola eine Reise in die Berge gewonnen hat. Sein Freund Basil hat ein Fernglas bekommen. Das hätte Nestor viel lieber. Gleich am nächsten Tag ziehen sie gemeinsam los: Basil, der Elefant, und Nestor, der Hund. Doch ihre Wanderung hoch auf den Gipfel wird kein unbeschwertes „Im Frühtau zu Berge“, dafür ist Nestor ein viel zu eigensinniger und mürrischer Hund.
Erst stören die Ameisen, dann ist der Rucksack zu schwer. Als Nestor sich von Basil beleidigt fühlt, gerät ihr Ruderboot ins Schwanken und sie kentern. Trotzdem erleben sie kostbare Momente unterwegs, am Lagerfeuer, unterm Sternenhimmel. Gemeinsam sinnieren sie über sich und das Weltall, das Universum. Basil: „Verstehst du, was ich meine, Nestor?“ Nestor: „Nein.“
Mal hat Basil Angst, ist verletzt. Mal braucht Nestor Hilfe. In „Basil und Nestor. Eine Reise im Sommer“ gelingt es der Autorin Mélanie Rutten mit ganz knappen Sätzen und zarten, leuchtenden Zeichnungen sehr viel über eine äußerst komplizierte, aber ganz besondere Freundschaft zu erzählen. Am Ende ihrer Reise erreichen der Elefant und der Hund den Gipfel und entdecken die Ursache für das geheimnisvolle Leuchten am Berg. Alles ist wunderbar.
Weniger nachdenklich, dafür aber ziemlich mitreißend ist „Die Reise nach Rio“, ein mit Gitarren und Perkussion neu vertontes Singspiel des 1963 erschienenen Buchs von James Krüss. Kurze Gedichte und heitere Lieder über eine turbulente Schiffsreise, die sechs Kinder – Michel, Franz, Lottchen, Hansel, Annegret und Gert – im heimischen Wohnzimmer veranstalten, wechseln sich auf diesem Hörspiel ab. Der ursprüngliche Buchtitel aus den sechziger Jahren mit einer für die Zeit klassischen Kinderbuchillustration von Ulrike Schramm wurde für die Covergestaltung der CD übernommen. „Die Leinen los! Maschinen an, damit der Dampfer fahren kann. Nach Rio! Nach Rio!“
Alte Verse, gute Laune
Auch die alten Verse von James Krüss verbreiten nach wie vor gute Laune. Und doch ist es erfrischend, Krüss’ Texte nun musikalisch neu interpretiert zu hören. Als Popsongs haben Wolfgang von Henko (Musik) und Nicki von Tempelhoff (Sprecher und Sänger) die Lieder ins Hier und Jetzt geholt. „Will man eine Seefahrt machen, gibt es manchmal nichts zu lachen. Aber jeder muss gestehen, diese Seefahrt, die war schön.“
Von einer ganz anderen, sehr viel entbehrungsreicheren Seereise handelt Anke Bärs Sachbilderbuch „Wilhelms Reise. Eine Auswanderungsgeschichte“. 1872 macht sich der 15-jährige Wilhelm vom Spessart allein nach Bremerhaven auf. Mit vielen anderen Mittellosen tritt er dort auf dem Segelschiff „Columbia“ die Überfahrt nach Amerika an.
Die Passagiere nehmen die wochenlange und beschwerliche Reise mit dem Dreimaster auf sich, angetrieben von der Hoffnung, in der Neuen Welt ein besseres Leben zu finden. Geplagt werden sie an Bord von der Enge der Massenunterkünfte, von Ungeziefer und Seekrankheit.
Der junge Wilhelm ist ein guter Zeichner. Er hält alles, was er auf seiner Reise beobachtet, in einem Skizzenbuch fest. Entsprechend ist dieses Buch wie eine Art Reisetagebuch mit Zeichnungen, flüchtigen Skizzen, handschriftlichen Anmerkungen und zusätzlichen Notizzetteln gestaltet. Die Zeichnungen zeigen verschiedene Szenen an Deck, spielende Kinder, Matrosen, sie erklären Seemannsknoten, Schiffsrouten oder Navigationsgerät. Anhand vieler interessanter Details bekommt man eine lebhafte Vorstellung von dem Alltag der Reisenden und der Arbeit der Seeleute an Bord.
Wilhelm betritt Amerika
So erfährt man zum Beispiel, dass Bilge eine Suppe aus Wasser, Urin, verfaulten Abfällen und Rattenschiss genannt wurde, die sich ganz unten im Schiff ansammelte und von Zeit zu Zeit abgepumpt wurde, um das Seuchenrisiko zu verringern – das Lenzen. Oder dass auf Reeperbahnen früher Schiffstaue (Reeper) aus Hanf hergestellt wurden. „Wilhelms Reise“ gibt aber auch allgemeine Auskunft über die Geschichte der Auswanderung und die Prozedur der Einwanderung. Ergänzend findet sich im Anhang eine ausführliche Chronik der deutschen Auswanderung in die USA von 1607 bis zur Einführung der „Green Card“ 1987. Als eines der letzten Auswanderersegelschiffe erreicht die „Columbia“ im Sommer 1872 New York. Wilhelm betritt Amerika.
■ Mélanie Rutten: „Basil & Nestor. Eine Reise im Sommer“. Beltz & Gelberg, Weinheim 2012, 9,95 Euro. Ab 4 Jahre
■ James Krüss: „Die Seefahrt nach Rio“. Gesungen und gesprochen von Nicki von Tempelhoff, Musik: Wolfgang v. Henko, Kinderchor. Hörcompany, 2012, Euro 12,95
■ Anke Bär: „Wilhelms Reise. Eine Auswanderergeschichte“. Gerstenberg Verlag, 2012, 14,95 Euro. Ab 8 Jahre
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