Der Europarat sucht einen neuen Sinn

Auf dem Gipfeltreffen in Warschau soll die älteste europäische Institution ein neues politisches Mandat erhalten

WARSCHAU taz ■ Selten hat ein Gipfel des Europarats so viele Vorschusslorbeeren eingeheimst: „Ein Meilenstein für den europäischen Prozess“ werde das Treffen in Warschau sein. Nach den beiden Gipfeln in Wien (1993) und Straßburg (1997), auf denen die Staats- und Regierungschefs der Europarats-Mitglieder schon einmal die Aufgaben dieser ältesten europäischen Institution neu definierten, sei der gestern begonnene Gipfel „außerordentlich wichtig für die Zukunft des Europarates“. Tatsächlich geht es für den Europarat um Sein oder Nichtsein. Denn er hat alle seine Aufgaben und Ziele von 1949 erreicht und erfüllt. Die Bilanz ist mehr als positiv, wie gestern alle Redner betonten. Menschenrechte, demokratische Grundrechte und Rechtssicherheit bilden den gemeinsamen Wertekanon Europas. 46 Staaten des europäischen Kontinents traten dem Europarat seit 1949 bei, unterzeichneten die Menschenrechtskonvention und erkannten den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg an.

Einziger Außenseiter ist Weißrussland, das aufgrund seiner massiven Menschrechtsverletzungen sogar 1997 seinen Beobachterstatus verlor. Die Mehrheit der Mitglieder gehört inzwischen der EU an. Auch wenn ein Verdikt des Europarates bei Menschenrechtsverletzungen ernst genommen wird, bleibt doch die Frage, ob solche Einzelfälle die Existenz der Institution noch rechtfertigen.

Das Ziel dieses dritten Gipfels in der Geschichte des Europarates ist daher ein ganz grundsätzliches: Der Europarat braucht ein neues politisches Mandat. Schon im Januar formulierten die 315 Abgeordneten aus den 46 nationalen Parlamenten, die zusammen die Parlamentarische Versammlung des Europarates bilden, dass „die Staats- und Regierungschefs die Aufgaben des Europarates innerhalb der institutionellen Landschaft Europas klar definieren und ihm einen klaren Auftrag für die Zukunft erteilen“ sollten.

Auf der Tagesordnung des Europaratsgipfels in Warschau stehen also nicht nur die positive Bilanz, die Reform des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und drei neue Konventionen zu Menschenhandel, Geldwäsche und Terrorismusprävention, sondern in erster Linie das neue politische Mandat für den Europarat.

„Die Herausforderung, vor der dieser Gipfel der Staats- und Regierungschefs steht“, erklärte denn auch gestern der Generalsekretär des Europarates Terry Davis, bestehe darin, eine Antwort auf die Frage zu finden: „Was ist das Ziel des Europarates? Wofür steht er in einer Welt, in der es nur so wimmelt von internationalen Organisationen?“ Darüber diskutieren heute die Gipfelteilnehmer. Am Nachmittag soll das neue politische Mandat und der Aktionsplan für die nächsten Jahre beschlossen werden. GABRIELE LESSER