Der große Auftritt nach dem Tod

Was treibt die Körperspender, die dem umstrittenen Präparator Gunther von Hagens ihre sterblichen Überreste hinterlassen? Bei einem Treffen in Heidelberg räsonieren sie gut gelaunt über ihre Aussichten auf ein zweites Leben als Muskelplastinat

AUS HEIDELBERG MAX HÄGLER

Vielleicht hoffen einige, den Heiligen Geist zu erblicken – pünktlich am Pfingstsonntag. Was die 750 Körperspender allerdings beim „Internationalen Körperspendertreffen für Plastination“ in Heidelberg zu sehen bekamen, war ganz und gar nicht heilig. Verwesende Riesenkraken, eine aufgeschnittene Elefantenkuh namens „Samba“, gefüllte Leichentruhen und andere handfeste Beweise für die Vergänglichkeit menschlichen und tierischen Lebens auf dieser Erde – und für den Kampf dagegen per Aceton, Formalin, Silikon und Harz.

Eingeladen hat Gunther von Hagens, umstrittener Anatomiekünstler, Macher der Ausstellungsreihe „Körperwelten“ mit bisher 17 Millionen Besuchern und Chef des Instituts für Plastination. Aus 11 Ländern sind seine Anhänger und künftigen Präparationsobjekte angereist, um im Gespräch mit Gleichgesinnten über den Sinn des Weiterexistierens nach dem Tode zu philosophieren.

„Die Würmer kriegen doch schon genug zu fressen, ich will nicht in die Erde“, sagt etwa der 83-jährige Max Mitzkus, auf sein Gehwägelchen gestützt. Jedes Jahr kommt er aus Bochum, um seine letzte Verarbeitungsstätte mit eigenen Augen zu sehen. Der ehemalige Marinesoldat ist viel herumgekommen: Als Chemiker hat er nach dem Krieg für amerikanische Firmen Kampfstoffe produziert. „Jetzt möchte ich hundert Jahre alt werden und dann noch mal hundert Jahre als Plastinat bestehen.“

Ein Wunsch, den nach Angaben des Instituts weltweit 6.000 Lebende teilen. Ein Schicksal, das auch manche chinesische Hinrichtungsopfer ereilt, wie der Spiegel einmal behauptet hatte – ohne dass von Hagens den Vorwurf entkräften konnte. Die Ermittlungen wegen des Bezugs von Leichen unbekannter Herkunft aus China und Kirgisien wurden aber eingestellt. In beiden Ländern unterhält der Plastinator Werkstätten. Aus China stammt auch der Professorentitel, der von Hagens bereits ein Gerichtsverfahren einbrachte, weil er ihn ohne Hinweis auf die Herkunft gebraucht hatte.

Am Kongressvormittag steht zunächst Theorie auf dem Programm, der Philosophieprofessor Franz Josef Wetz darf über „Körperwelten als Spiegel der Gesellschaft“ sinnieren: „Man schaut in einen fremden Körper, um darin den eigenen verwundbaren, sterblichen Leib zu entdecken.“ Ab Mittag kommen dann ganz handfest die Präparatoren zum Einsatz, die aus Dalian eingeflogen wurden. In blauen OP-Anzügen mit chinesischen Schriftzeichen demonstrieren sie den geneigten Besuchern alle Arbeitsschritte.

Auf einem OP-Tisch wird gerade mit Skalpell und Pinzette das Fett von den Nervenbahnen eines linken Unterarms gekratzt, während im nächsten Raum die Körperflüssigkeiten eines Leichnams mittels daumendicker Infusionsschläuche gegen Chemikalien ausgetauscht werden. Die „Körperscheiben“ nebenan haben diese Prozedur schon hinter sich. Heraus kommen nach einem einjährigen Bearbeitungsprozess stabile, haltbare Leichenteile, die beim Anfassen höchstens ein wenig bröseln.

Der Traum einer jeden Präparatorin, wie die Französin Iris Jonkanski zugibt. Als die Pharmazeutikerin in der Uni ihren Präparationskurs gemacht hat, sind die Leichen über die Wochen immer schlechter geworden. „Auch tolle Sachen waren dann bald kaputt.“ Deswegen findet es die 45-Jährige „toll“, was von Hagens macht. „Vom wissenschaftlichen Standpunkt, vom ästhetischen und auch den Humor, den er reinbringt.“ Sie selbst würde am liebsten ein Muskelpräparat werden.

Gut gelaunt ist sowieso die ganze Runde an diesem Pfingstsonntag. Da wird gelacht und gescherzt. Nur einige wenige Menschen, die ganz und gar nicht gesund aussehen und sich womöglich selbst schon fast auf dem Seziertisch wähnen, laufen mit einer Miene durch den Laborkomplex, die man an diesem Ort eigentlich von jedem erwarten würde.

Der Chef, wie stets mit Lederweste und Hut angetan, turnt unbeeindruckt auf der 41-jährigen Elefantenkuh „Samba“ herum, die in einem saarländischen Zoo verendet ist und gerade per Kran aus einer unterirdischen Vakuumkammer gehievt wird. Während er mit der Gardena-Sprühpistole den toten Körper feucht hält, dirigiert er das Manöver: „Können Sie mal den Schwanz halten?“

In einer wahren Prozession geht es schließlich auf einem Schiebewagen durch die Präparationshalle hinaus auf die Straße, wo von Hagens gesteht, was ihn antreibt: „Natürlich ist das Sensationslust.“