Schily will nicht nach Nazis forschen

Im Namen der Bundesregierung: Der Innenminister lehnt es ab, die Geschichte früherer NSDAP-Mitglieder in den Bonner Ministerien nach 1949 aufzuarbeiten. Man sehe sich in keiner „Kontinuität“. In der Koalition stößt dies auf Unverständnis

VON PHILIPP GESSLER

Konrad Adenauer sah die Sache ganz locker: „Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens zunächst an den leitenden Stellen Leute hat, die von der Geschichte von früher her etwas verstehen.“ Der erste Kanzler der Bundesrepublik machte sich keine großen Gedanken über die ehemaligen Nazis in den Bundesministerien – im Gegenteil. Schon 1952 forderte er, man soll „mit der Nazi-Riecherei Schluss machen“. Ähnlich verweigert sich Innenminister Otto Schily (SPD) im Namen der Bundesregierung nun der Forderung, die Geschichte früherer NSDAP-Mitglieder in den Nachkriegsministerien aufzuarbeiten.

Außenminister Joschka Fischer und Landwirtschaftsministerin Renate Künast (beide Bündnis 90/Die Grünen) hatten jüngst angekündigt, Historiker würden in ihrem Auftrag die personellen Kontinuitäten in ihren Häusern von der NS-Zeit zur Bundesrepublik erforschen. Schily dagegen hatte im Namen der Bundesregierung auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Volker Wissing erklärt: „Die Bundesministerien sehen sich nicht in einer Kontinuität mit der ehemaligen nationalsozialistischen Reichsregierung. Alle Bundesregierungen sind nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland aufgrund demokratischer Wahlen gebildet worden.“ Die Bundesministerien hätten daher „keine ‚nationalsozialistische Vergangenheit‘, die der ‚Aufarbeitung‘ bedarf“.

Diese Argumentation Schilys ist rein formal, denn neueren historischen Forschungen zufolge waren Anfang der 50er-Jahre knapp ein Drittel der Bundesbeamten früher Mitglieder der Hitler-Partei – im Bundesinnenministerium sollen es sogar über 40 Prozent gewesen sein. Berühmt-berüchtigt ist das Beispiel des Juristen Hans Globke, der in der NS-Zeit die Nürnberger Rassegesetze lobend kommentierte und nach 1949 Adenauer zehn Jahre lang als Staatssekretär diente.

Eine Sprecherin des Innenministeriums wollte ARD-Recherchen nicht kommentieren, wonach Schily die Antwort auf die kleine Anfrage gegen den Widerstand Fischers herausgegeben habe. Ebenso wenig wollte sie etwas zu dem Recherche-Ergebnis sagen, dass Staatssekretäre mehrerer Ressorts Schilys Antwortentwurf kritisiert hätten.

Unterdessen äußerten Koalitionspolitiker öffentlich ihr Unbehagen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, kritisierte Schilys Haltung als unverständlich. „Die gesamte personelle Kontinuität zwischen NS-Regime und Bundesregierung sollte aufgearbeitet werden“, so Beck. Der „schnelle Friede“, den man in der Bundesrepublik mit Nazi-Mitläufern und vielen aktiven NSDAP-Mitgliedern gemacht habe, sei „kein Ruhmesblatt“ gewesen.

Auch in seiner eigenen Partei stößt die kategorische Position des Innenministers auf Unverständnis: Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, forderte, die „gesamte Bundesregierung“ solle die personellen Kontinuitäten in den Bundesministerien nach 1949 untersuchen lassen. Dies wäre sachgerecht, denn schließlich hätten nicht nur bei der Polizei, in Justiz und Wirtschaft viele frühere Nazis gearbeitet. Er verwies darauf, dass es etwa zehn Millionen NSDAP-Mitglieder gegeben habe. Wenn die Bundesregierung die Recherchen nicht von sich aus anpacke, würden dies Historiker sowieso tun. „Der Geschichte entgeht man nicht.“

Unterstützung erhielt Schily dagegen von Wolfgang Bosbach. Der Unions-Fraktionsvize sagte: „60 Jahre nach Kriegsende frage ich mich, welche praktischen politischen Konsequenzen aus so einer Untersuchung gezogen werden sollen.“

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