: „China gleicht einem G-1-Club“
Chinas Rolle als Kritiker der Weltwirtschaftsordnung gehört der Vergangenheit an, meint Wirtschaftsprofessor Zha Daojiang. Eigene Interessen stehen heute im Vordergrund
taz: Muss die Dritte Welt heute China fürchten oder sollte sie China als Modell betrachten?
Zha Daojiang: Beides. Modellhaft ist, wie China dank starker staatlicher Kontrollen über sein Schicksal verfügt und damit die Abhängigkeit von jeder Art westlichem Entwicklungsmodell vermeidet, ganz gleich, ob man dabei an die Modelle von Weltbank und IWF oder ganz allgemein an den guten Willen der entwickelten Welt denkt. Doch was den Weltmarkt und seine Nischen betrifft, die von ärmeren Ländern bedient werden: Hier ist China eine Bedrohung für den Süden, zum Beispiel im Wettbewerb um Rohstoffe und Investitionen. Auch wenn wir in China oft von Zusammenarbeit mit dem Süden reden, wird die Realität vom Wettbewerb diktiert.
Bestimmt die KP, inwiefern China Modell oder Wettbewerbsgegner des Südens ist?
Ironischerweise hat die über Jahre erfolgreiche wirtschaftspolitische Kohärenz Chinas etwas mit der Erhaltung der Macht der Kommunistischen Partei zu tun. Das macht es für andere Länder nicht leichter, Chinas makroökonomisch oft gutem Beispiel zu folgen. Umgekehrt sorgt die zu erwartende Kontinuität der KP dafür, dass Chinas Wettbewerbsdrohung gegen den Süden nicht abnehmen wird.
Hat sich China vom Kritiker zum Nutznießer des internationalen Wirtschaftssystem entwickelt?
Offiziell kritisiert China immer noch viele Elemente der herrschenden Weltwirtschaftsordnung, doch die Suche nach einer Alternative hat aufgehört. China gleicht heute einem G-1-Club, der nur seine eigenen Interessen verfolgt. Man denkt: Solange ich von dem System profitiere, werde ich es nicht ändern.
Was bedeutet das für die Dritte Welt?
Der Süden kann nicht mehr auf China als Gegengewicht zu den G-8-Staaten hoffen. Wenn der Süden das System kritisiert, zählt China heute zu den Schuldigen. Denn wir arbeiten derzeit oft enger mit den Kreditgebern als mit den Schuldnern zusammen. Ob das langfristig klug ist, ist eine ganz andere Frage.
INTERVIEW: GEORG BLUME