Fixe Liebesmüh

BEGEGNEN Beim Künstler-Speed-Dating in einem Club im Wedding üben sich acht Menschen darin, pärchenweise zu improvisieren

„Man weiß nicht, was einen vom Gegenüber erwartet“

LADY GABY, MODERATORIN, ÜBER DIE HERAUSFORDERUNG BEIM SPEED DATING

VON ANNA KLÖPPER

Die Brunnenstraße am U-Bahnhof Voltastraße ist kein Ort, an dem man besonders viel Poesie vermutet. Wahrscheinlich würde man diesen Flecken, kurz bevor der Wedding zu Mitte wird, auch kaum für ein Date in Betracht ziehen: Dönerbuden und Spielcasinos teilen sich in schöner Gleichmäßigkeit die Fassaden der Ladengeschäfte untereinander auf, das Neonblau einer Tankstelle beißt sich mit dem Knallorange eines Baumarkts schräg gegenüber.

Der passende Rahmen für das Künstler-Speed-Dating liegt denn auch eine Fahrstuhlfahrt entfernt vom Tageslicht. Versteckt in einem Hauseingang befördert ein Lastenaufzug eine erstaunliche Menge an amüsierfreudigem Publikum in die Tiefe: In den unterirdischen Lagerhallen einer ehemaligen Möbelfabrik zappeln schlaksige Jungs mit Hut und Mädchen mit Ponyfrisur zu Elektroklängen, im Raum stehen die obligatorischen Sofagarnituren vom Sperrmüll. Hier, in einem Nebenraum des Clubs Brunnen70, sollten am Freitagabend je vier einander bisher unbekannte MusikerInnen und DichterInnen jeweils fünf Minuten miteinander in wechselnden Pärchenkonstellationen improvisieren.

Es dauert ein bisschen, bis es dazu kommt. Von neun wird das Anbandeln auf elf Uhr nachts verschoben. Schließlich ist es zwölf und Gastgeberin, und Moderatorin Lady Gaby – pinke Perücke zur Netzstrumpfhose, viel schwarzer Kajal, undefinierbares Alter – wartet immerhin nur noch auf einen der acht KünstlerInnen. Viele ihrer Freunde gingen zu gewöhnlichen Speed Datings, berichtet sie. Und deswegen hatte Lady Gaby die Idee, das gleiche Prinzip auf „performance poetry“ anzuwenden: Wörter und Klänge miteinander flirten zu lassen. „Die Situation ist ja ähnlich: Man weiß nicht, was einen vom Gegenüber erwartet, und hat nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung, um sich zu präsentieren“, so die gebürtige Rumänin.

Nicht schüchtern sein!

Als die Macher von Poesiefrühling, einer Veranstaltungsreihe mit Workshops und Mitmachaktionen zum Thema Poesie, nach neuen Ideen für ihr zehntägiges Programm suchten, meldete sie sich. Allerdings sei es gar nicht so leicht gewesen, genügend geeignete KünstlerInnen aufzutreiben, sagt Lady Gaby und seufzt: „Für so eine Improvisationssache mit Unbekannten darf man nicht schüchtern sein – und ich habe schon auch vorher darauf geschaut, was die Leute können.“

Albina zum Beispiel darf mitmachen. Singer-Songwriterin sei sie, sagt die 27-Jährige, die „am ehesten noch aus Friedrichshain“ komme: Ein festes Zuhause habe sie nicht. Ist man aufgeregt, wenn man gleich mit jemand Wildfremdem auf der Bühne etwas darbieten soll? Sie zuckt die Schultern und meint dann: „Ja, vielleicht.“

Scott aus Prag und Breeta CC. aus Neukölln sind da weniger wortkarg. Sie hat sich gerade einen anderen Künstlernamen verpasst und will jetzt ihr neues Alter Ego, „die Puppe“, an die Bühnenluft gewöhnen. Er wollte unbedingt dabei sein, sagt Scott, ein Hüne im schwarzen Anzug, den eleganten Schal fein säuberlich über die Schultern gelegt. Denn: „Ich will den Leuten die Poesie wieder näherbringen.“

Das gelingt an diesem Abend nur bedingt. Was vielleicht daran liegt, dass man von einer Veranstaltung mit dem Titel Speed Dating schlicht mehr – oder besser: anderes – erwartet hätte. Vor allem das Setting ist enttäuschend: Lediglich zwei Mikrofonständer stehen auf einer provisorischen Bühne, nichts, was an eine Dating-Situation erinnern würde. Keine runden Tischchen, keine Rosen. Und auch was an improvisierter Lyrik und Gitarrengeklampfe dazu vorgetragen wurde, hat man auf manchem Poetry Slam schon besser erlebt.

Immerhin: Mit Beatboxerin Preacher als zweiter Datingpartnerin kommt Scott seinem Ziel recht nahe. Sind die Zuschauerzahlen bei einigen Poesie-Musik-Fusionen recht übersichtlich, bleiben bei den beiden sogar ein paar der dünnen Jungs mit Hut auf dem Transit von der Haupttanzfläche zurück auf den Sofas hängen und nicken anerkennend mit den Köpfen. Das sei ja auch Sinn der Sache, sagt Lady Gaby. „Dass es bei einigen Künstlern vielleicht ‚klick!‘ macht und sich langfristige Partnerschaften für Projekte ergeben.“

Eben wie beim richtigen Daten auch. Immerhin zwei der Flirtwilligen haben zumindest einen netten Abend verbracht. Die Autorin dieser Zeilen backte mit ihrem Sohn gerade einen, wie sie befand, besonders gelungenen Sandkuchen auf einem Spielplatz unweit des vorabendlichen Geschehens, da schlichen müde zwei übernächtigte Poeten mit einem letzten Bier in der Hand an ihr vorbei.