Hüpfburg und Sprungbrett

BerlinerInnen beherrschen den Parteinachwuchs „Grüne Jugend“: Fast der gesamte Vorstand kommt aus der Hauptstadt. Und einige Ehemalige machen jetzt auch bei den großen Grünen richtig Karriere

VON MATTHIAS LOHRE

Von der Jungen Union können die Leute von der Grünen Jugend (GJ) noch eine Menge lernen. Philipp Mißfelder, der Bundesvorsitzende des CDU-Nachwuchses, füllte vor zwei Jahren fast im Alleingang das Sommerloch – einfach mit dem gewollt provozierenden Vorschlag, man müsse 85-Jährigen ja nicht unbedingt künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Allgemeinheit spendieren. Die Nachwuchs-Grünen hingegen fordern in ihrem neuen Leitantrag nichts Geringeres als eine „Friedliche Welt im 21. Jahrhundert“. Kein Wunder, dass das politische Berlin die jungen Grünen weitgehend ignoriert.

Doch das dürfte sich bald ändern, denn die elf Jahre alte Organisation mit Sitz in der Grünen-Bundeszentrale meldet Mitgliederrekorde. 6.000 Mitglieder haben die Jung-Grünen bundesweit. Das entspricht einem Zehntel der Bundespartei – wobei GJler kein grünes Parteibuch besitzen müssen. Und immer wieder haben dort BerlinerInnen das Sagen.

Allein sechs der acht Vorstandsmitglieder leben in der Hauptstadt. Auch Nike Wessel, eine ihrer beiden neugewählten SprecherInnen. Die gebürtige Zehlendorferin ist das glatte Gegenteil zum robusten JU-Machtmenschen Mißfelder. Schmal, leise, fast schüchtern wirkt die 23-Jährige. In ihrer Bewerbungsrede auf der Mitgliederversammlung in Erfurt vor zwei Wochen sprach sie viel von „Herz“, „Visionen“, „Hoffnung“ und „Gestaltungsleidenschaft“.

Dabei kennt die FU-Studentin den eher leidenschaftsarmen Politikbetrieb seit Jahren: Bis 2003 war sie Sprecherin des Berliner GJ-Landesverbands, arbeitete mehrere Jahre im Bundestagsbüro von Renate Künast und bei Cem Özdemir in Brüssel. Doch den anwesenden Delegierten – von denen viele gerade 15 Jahre alt waren – gefiel ihr Auftritt.

Jetzt liegen eineinhalb Jahre Verbandsarbeit vor ihr: Besuche bei den anderen Landesverbänden stehen an, eine „Bildungsoffensive gegen Rechts“ will sie auf den Weg bringen. Das alles will die Wahl-Kreuzbergerin neben ihrem Examen schaffen: „Es gibt ja noch anderes im Leben als Politik. Nach dem Geschichtsstudium will ich erst einige Jahre etwas ganz anderes machen.“ Nach ihrer Sprecherinnen-Zeit werde sie bereits vergleichsweise alt sein: Die Altersobergrenze liegt bei 28 Jahren. Bei der JU gilt man noch mit 35 als jung.

Bislang war die Nachwuchsorganisation eher eine politische Hüpfburg als ein Karriere-Sprungbrett. Neben Katja Husen, die heute im Bundesvorstand der Partei arbeitet, hat vor allem eine frühere GJ-Chefin auf sich aufmerksam gemacht. Die Berlinerin Ramona Pop, 2000 bis 2002 Bundessprecherin, sitzt bereits seit Ende 2001 im Abgeordnetenhaus. Ihre Zeit beim Nachwuchs hat sie gut in Erinnerung: „Wir wurden von der Bundespartei tatsächlich angehört.“ An der Formulierung eines neuen Grundsatzprogramms arbeitete die damalige GJ-Chefin als gleichberechtigtes Mitglied mit.

Insgesamt vier Sprecherinnen hat der Berliner Landesverband in den vergangenen Jahren hervorgebracht. Ein gewichtiger Grund dafür ist schnell gefunden. Im Jahr 2000 Jahren zog ihre Bundeszentrale von Frankfurt/Main an die Spree. Und bei mageren 300 Euro Aufwandsentschädigung pro Monat fällt es Nicht-HauptstädterInnen nicht nur aus Zeitmangel schwer, regelmäßig in Berlin mitzumischen.

Dass der politische Einfluss der 6.000-Seelen-Gemeinde begrenzt ist, wissen auch ihre Chefs: „Die Grüne Jugend ist vor allem ein Angebot, junge Menschen zu politisieren“, sagt Ramona Pop. „Ein Leitantrag zum Weltfrieden ist da durchaus möglich, weil die Jugendlichen nicht nur die tagesaktuellen Themen diskutieren wollen.“ Ein Fundi-Stachel im Fleisch der Realo-Partei scheint der Nachwuchs dennoch nicht zu sein. „Inhaltlich gibt es nur wenige Unterschiede zur Partei“, sagt Nike Wessel. Mit Blick auf ihre Ex-Arbeitgeberin Verbraucherschutzministerin Renate Künast gibt sie zu: „Renate ist für mich ein Vorbild.“ Von ihr habe sie viel gelernt.

Auch Jürgen Trittin, Claudia Roth, Angelika Beer und Christian Ströbele tauschen sich gelegentlich mit den Jungen aus. Nur ein Schwergewicht haben die Nachwuchspolitiker noch nie auf einer Mitgliederversammlung gesichtet: Joschka Fischer.