Ein anderer Deal

In seiner Doku „Nicht ohne Risiko“ (23.15 Uhr, WDR) über Risikokapital beweist Harun Farocki wieder einmal sein Können als Anti-Michael-Moore

VON CHRISTIAN BUSS

Am Ende sitzen alle ein bisschen erschöpft beim Italiener und feiern den Abschluss des Geschäfts. Ein Technikhersteller braucht Kapital, eine Investmentfirma stellt es ihm zur Verfügung. Einer der Finanzberater fragt sich, weshalb es immer so lange dauern müsse, bis man sich einig werde. Das ist eine rhetorische Frage, der Mann ist Profi. Sein Job ist es, solche Verhandlungen zu führen, und je länger sie dauern, desto besser kann er seine Qualitäten unter Beweis stellen.

Harun Farocki hat einen Film über Risikokapital gedreht. Genauer: über die Vergabe von Risikokapital. Der Regisseur macht nichts anderes, als zwei Parteien beim Sprechen zuzuschauen. Gelegentlich erklärt er in Texttafeln die Anglizismen der Businesswelt; einmal begleitet er einen der Akteure beim Autofahren, auch das ist wichtig zum Verständnis. Die Firma NCTE, die einen Drehmotor-Sensor entwickelt hat, benötigt zur Produktion der innovativen Technik 750.000 Euro. Der internationale Kapitalgeber Buchanan könnte sich eine Risikobeteiligung vorstellen. Der Geschäftsführer von NCTE und sein Finanzberater denken an 20 Prozent, die beiden Vertreter des potenziellen Geldgebers fordern 34. NCTE verweist auf den fortgeschrittenen Entwicklungsstand des Projekts: „Wir sind doch kein Start-up!“ Die Vertreter von Buchanan kontern: „Wir machen keine Substanzanalyse“ und pochen auf das Risiko. Zwei lange Sitzungen dauert es, dann wird man sich doch noch einig und feiert die, wie es im Venture-Capital-Sprech heißt, „Win-win-situation“.

Kein anderer Dokumentarfilmer versteht es besser, die Prinzipien hochkomplexer Wahrnehmungs-, Währungs- und Warensysteme herauszuarbeiten. Das liegt daran, dass Farocki genau zuschaut. Bei ihm sucht man vergeblich nach polemischer Verkürzung oder moralischer Konnotation. Um es deutlich zu formulieren: Farocki ist die Antithese zu Michael Moore. Er betrachtet sozioökomische Abläufe wie eine technische Apparatur, die man versteht, wenn man nur einmal ihren Energiekreislauf durchdrungen hat.

In den letzten Jahren hat Farocki vor allem zur digitalen Steuerung und Chiffrierung gesellschaftlicher Teilbereiche geforscht, ob im Justizvollzug („Gefängnisbilder“) oder bei der Verkehrsüberwachung und Kriegsführung („Erkennen und Verfolgen“). Einmal fühlt man sich in „Nicht ohne Risiko“ an frühere Arbeiten erinnerten, da präsentiert der Finanzberater das Navigationssystem seines Autos. Er ist zufrieden mit dem Bordcomputer, glaubt aber, an einer Stelle einen Umweg gefahren zu sein.

Gerade solche Umwege scheinen es indes zu sein, die das Zustandekommen des Finanzdeals benötigt. Beide Seiten spielen unterschiedliche Szenarien durch, bis man zu einem Modell gelangt, dass eigentlich schon früher hätte angesteuert werden können. Für den Kapitalnehmer gehört das Taktieren zum Geschäft, für den Kapitalgeber ist das Taktieren selbst das Geschäft. Am Ende beim Italiener würde der Unternehmer gerne noch von seiner Firma erzählen und was in der nächsten Zeit so geplant ist. Sein Finanzberater hält das für unangemessen: „Du fragst, wie du im nächsten Jahr Geld auf dem Konto hast – die fragen, was du in fünf Jahren drauf hast.“ Die Risikokapitalgeber sind denn auch längst in die Speisekarte vertieft. Irgendwann wird bilanziert, bis dahin soll der neue Geschäftspartner mal machen. Morgen muss ein anderer Deal eingefädelt werden.