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: Tabu und Schändung

Sage noch einer, Journalismus sei wirkungslos: „Newsweek“ berichtete über Koran-Schändungen auf Guantanamo, 17 Menschen sterben, als Muslime protestieren. Jetzt zog das Blatt den Bericht zurück. Das Desaster bleibt.

Eigentlich klingt die Koran-Geschichte eher harmlos, bedenkt man, was sich die US-Armee in Abu Ghraib und anderswo schon geleistet hat. Doch für gläubige Muslime besitzt der Koran eine ähnliche Bedeutung wie das Kreuz für gläubige Christen. Mehr noch: Der Koran gilt, im Gegensatz zur Bibel, Wort für Wort als Offenbarung Gottes.

Das erklärt, warum die Reaktionen auf die vermeintliche Koran-Schändung fast heftiger ausfallen als nach dem Folterskandal von Abu Ghraib. Die Ironie der Geschichte ist, dass zumindest die US-Regierung sich der Brisanz des Koran-Tabus bewusst war: Seit es auf Guantánamo einmal fast zu einem Aufstand kam, weil ein Wärter ein Exemplar fallen gelassen hatte, hat die Regierung befohlen, dass zumindest das Buch fortan mit Samthandschuhen anzufassen sei.

Erstaunlich ist also, dass sich bei Newsweek offenbar niemand über die Brisanz des eigenen Berichts im Klaren war. Sonst hätte man ihn nicht nur besser geprüft, sondern auch größer im Blatt aufgemacht. Newsweek galt bislang, auch in der muslimischen Welt, als Vorbild an Faktentreue. Damit dürfte es nun vorbei sein. DANIEL BAX