LESERINNENBRIEFE
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Relativierung anderer Opfer

■ betr.: „Der Rückfall“, taz vom 17./18. 3. 12

Die Schoa war also ihrer Intention nach, nämlich der ausschließlichen Vernichtung von Menschenleben aufgrund von Herkunft, einmalig. Akzeptiert. Und Nationalsozialismus und Realsozialismus unter dem Dachbegriff „Totalitarismus“ gleichzusetzen, ist auch sicher ahistorisch.

Aber dass der Autor nun die Opfer der stalinistischen und maoistischen Regimes, die die der Schoa ums Dutzendfache übersteigen, dadurch marginalisiert, dass er von der Erhöhung ihrer „tatsächlichen historischen Bedeutung“ spricht, ist doch einigermaßen abstoßend. Weil sie also aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen anstelle von ethnischen getötet worden sind, wird ihr Opfer zu einer eher unspektakulären Fußnote der Geschichte. Und den Opfern der Verbrechen der realsozialistischen Regime ein gemeinsames Gedenken zu verwehren mit dem Hinweis, dies wandle Täter- in Opfernationen um, erscheint geradezu zynisch, da er so die Zigmillionen Toten schlicht als Teil deren Mörder definiert.

Auf die Behauptung, der Begriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ impliziere den Vorwurf des Genozids, möchte man dann nur noch antworten: Bitte in einem Lexikon nachschlagen?! Die Schoa war sicher in vielerlei Hinsicht einmalig schrecklich, aber wer bereit ist, zur Verteidigung dieser Alleinstellung in einer Art Überkompensation die Opfer anderer Gruppen derart zu relativieren, macht sich doch genau dessen schuldig, was er anderen, in diesem Fall Joachim Gauck, vorwirft. Was für ein unschöner Kampf um die größte Opferrolle. CLAUDIUS MAIER, Villingen-Schwenningen

„Halit-Straße“ gegen rechts

■ betr.: „Kassel sperrt sich gegen eine große ‚Halit‘-Straße“, taz vom 17./18. 3. 12

Nachdem ich die Gedenkfeier für die „NSU“-Opfer gesehen und den Wunsch des Vaters von Halit Yozgam gehört habe, schickte ich spontan eine E-Mail an die Adresse des Oberbürgermeisters von Kassel. Darin wies ich darauf hin, dass dies ein gutes Zeichen der international bekannten Documentastadt gegen rechtes Gedankengut und vor allem rechts motivierte Gewalt wäre, zumal der Großraum Kassel eine nicht unbedeutende Szene der Rechten hat. Noch nicht einmal eine Lesebestätigung wurde zurückgeschickt.

Schlimm ist, dass die Politiker bei allen Sonntagsreden – und hier tun sich die Politiker der CDU immer wieder hervor – das braune Gedankengut in der deutschen Bevölkerung als weit verbreitet geißeln. Wenn es aber um konkretes Handeln geht anstelle von Lippenbekenntnissen, finden sie immer wieder Ausreden, warum das eine oder andere nicht geht. Wie weit verbreitet ist eine rechte Grundhaltung innerhalb der politischen Schicht in Kassel?

Ich unterstütze die Idee nach einer Halit-Straße in Kassel als deutliches Zeichen gegen rechts; auch als Quasientschuldigung der Strafverfolgungsbehörden, die einen kriminellen Hintergrund bei dem Opfer suchten. ALBERT WAGNER, Bochum, ehemals Hessen

Tanten- und Urgroßcousinenzeit

■ betr.: „Lieber in die Kita statt zur Oma“, taz vom 16. 3. 12

Liebe Ministerin Schröder, prima Idee, die Großelternzeit zu erweitern! Aber bitte dabei nicht auf halbem Weg stehen bleiben: Tanten- und Großtantenzeit wären auch nicht schlecht. Und natürlich Onkel- und Großonkelzeit! Wie wäre es mit Paten- und Patinnenzeit? Wir brauchen – vor allem auf dem Land – dringend die Nachbarinnen- und Nachbarzeit. In der Stadt die Freundinnen- und Freundezeit; und für die ganzen Großfamilien gibt es sicher nichts Besseres als Cousinen-, Großcousinen- und selbstverständlich auch Urgroßcousinenzeit!! Irgendwen werden wir schon finden für die lieben Kinderchen. BJÖRN WOLF, Offenbach

Lieber kein altkluger „BWL-Kevin“

■ betr.: „Abinote 2,7? Vergiss es!“, taz vom 17./18. 3. 12

Liebe Barbara, Du schließt in Deinem Kommentar etwas kurz. Auf dem Studienfach Mathematik war schon vor 20 Jahren, als ich das studierte, kein NC. Das führte aber nicht dazu, dass hauptsächlich die mathematisch Unbegabten sich einschrieben, sondern dass, wer sich für Mathe entschieden hatte, die bekloppte Abivorbereitung sofort einstellte, weil „4 geschrieben, dabeigeblieben“ eben genügte. Nur die armen Medizinaspiranten mussten diesen ganzen Schulscheiß bis zum Schluss hinunterwürgen. Quasi als Vorbereitung auf die ätzenden Verhältnisse als Arzt im Krankenhaus. Und übrigens stelle ich auch als Arbeitgeber lieber jemanden ein, der einen bunten Lebenslauf hat als einen aalglatten, 23-jährigen, altklugen „BWL-Kevin“. So gesehen passt das schon. KARL STRECKER, Stuttgart

Wort zum Sonntag jetzt täglich

■ betr.: Gauck ist Bundespräsident

Huch, mit dem zweiten Versuch ist der Rostocker Jugendpfarrer Joachim Gauck zum Bundespräsident gewählt worden. Jetzt gibt es das „Wort zum Sonntag“ auch täglich aus dem Berliner Schloss Bellevue. Wer hätte das gedacht? Sollte dieser Bundespräsident wie seine Vorgänger Horst Köhler und Christian Wulff (beide CDU) auch vorzeitig das Handtuch werfen und als Staatsoberhaupt zurücktreten, wäre es an der Zeit, diesen Politluxus eines Bundespräsidenten ersatzlos aus dem Grundgesetz zu streichen. ALBERT ALTEN, Wernigerode