„Wir sind zu allen Schandtaten bereit“

KÜNSTLERHAUS RETTEN Mit 170.000 Unterschriften für den Erhalt des Kunsthauses Tacheles

■ Unter dem Motto „170.000 Unterschriften für das Kunsthaus Tacheles“ rufen Künstler und Tacheles Unterstützer am Mittwoch, den 21.3.2012, ab 13 Uhr zu einer Protestkundgebung vor dem Roten Rathaus, dem Sitz des Kultursenators Wowereit, auf.

■ Im Netz: www.tacheles.de

Das Kunsthaus Tacheles zählt zu den größten Touristenmagneten in Berlin-Mitte. Über 300.000 Menschen schieben sich jährlich durch die bunt bemalten Korridore und Ateliers der Kaufhausruine, um das Berlin zu erleben, das in Mitte fast vollständig verschwunden ist.

Im Tacheles ist man sich dieser Rolle bewusst, dennoch sieht man sich nicht als Touristenattraktion. „Das Tacheles ist ein Freiraum, genauer: ein Raum für freie Kunst“, sagt Martin Reiter, Sprecher des Tacheles. Unbekannte KünstlerInnen und StudentInnen hätten hier die Möglichkeit zu experimentieren – und das ganz ohne Erfolgsdruck. Damit sei man in Berlin leider zu einer Besonderheit geworden, ergänzt Reiter.

Namensgeber des Hauses ist die KünstlerInnengruppe „Tacheles“, die das ehemalige Einkaufszentrum kurz vor seiner planmäßigen Sprengung 1990 besetzte. Seitdem bietet das Haus Platz für Kunst, Theater, Film, Tanz, Literatur und Musik. Es gibt 30 Künstlerateliers, Ausstellungsflächen und Verkaufsräume für zeitgenössische Kunst, einen Salon, in dem Lesungen und Konzerte stattfinden, und eine große Bühne.

Von 1998 bis 2008 hatte der Tacheles e.V., der das Tacheles betrieb, einen regulären Mietvertrag für das Gebäude und den Hinterhof. Als dieser auslief, konnte kein neuer ausgehandelt werden. Seit 2008 verwaltet die HSH Nordbank das Gelände, die mit aller Macht versucht, die KünstlerInnen aus dem Haus zu bekommen. So hat sie den KünstlerInnen das Wasser abgestellt, mauerte den Zugang zum Hinterhof zu und versuchte die NutzerInnen einzeln aus den Räumen herauszukaufen. In einigen Fällen kam sie damit durch: Für eine Millionen Euro räumte die Gastronomiefraktion im April 2011 das Café Zapata, das Kino und das Studio 54.

Letzter Höhepunkt des Konflikts zwischen den KünstlerInnen und der HSH Nordbank war die Beschädigung der Ausstellung des weißrussischen Künstlers Alexander Rodin durch die im Tacheles tätige Sicherheitsfirma. Wie Linda Cerna, eine weitere Sprecherin des Künstlerhauses, berichtet, seien die Sicherheitsleute Mitte Dezember 2011 in die Ausstellungsräume eingedrungen, wo sie ein Bild zerschnitten und auf Bücher und Skizzen uriniert hätten. In den kommenden Monaten werden die zerstörten Werke in Berlin und Potsdam ausgestellt.

Zurzeit befürchten die KünstlerInnen, dass der Eingang zum Künstlerhaus eingezäunt werden könnte. Zwar konnte eine Einzäunung vergangene Woche erfolgreich abgewendet werden, trotzdem bestehe weiterhin Gefahr, berichtet Cerna. Deshalb habe man einen Wachposten am Gebäudeeingang eingerichtet, der Tag und Nacht besetzt sei.

Die Schikanen nehmen also kein Ende. Trotzdem denkt im Tacheles niemand daran, das Handtuch zu werfen. „Wir lassen uns von diesem Terror nicht einschüchtern“, sagt Cerna. Schließlich gebe es viel, worum es sich zu kämpfen lohne.

In der Tat ist das Tacheles nicht nur wichtig für die Off-Kunst-Szene, sondern leistet auch politische Arbeit. Zum einen wird hier politische Kunst gezeigt und gemacht. Während Alexander Rodin in seinen Bildern an der Sowjetunion und seiner Heimat Weißrussland Kritik übt, bietet der Künstler Roman Kroke zusammen mit dem Tacheles Workshops für Schulklassen und Hochschul-Seminargruppen an, in denen Ereignisse wie der Mauerbau oder die Schoah künstlerisch aufgearbeitet werden können.

Zum anderen mischt sich das Tacheles in politische Diskussionen ein. Ein wichtiges Thema ist die Entwicklung der Berliner Innenstadt. So setzt sich das Tacheles für den Erhalt von öffentlichen Räumen ein, da sie eine Voraussetzung seien für nichtkommerzielle und kritische Kunst. Entsprechend engagiert sich das Tacheles bei „Megaspree“, das ein Bündnis aus Clubs, politischen Gruppen und alternativen Projekten ist oder hilft, wenn andere Projekte in Not geraten. Als der Schokoladen kurz vor der Räumung stand, bekundete man seine Solidarität und half dabei, den Soli-Mailverteiler zu verwalten.

Im Februar startete die ersten Tacheles-Biennale, auf der Politik und Kunst weiter verzahnt werden sollen. Innerhalb und außerhalb des Hauses werden bis zum 1. Mai Ausstellungen, Lesungen und Performances organisiert, in denen politische Themen wie Städtebau, Spekulation und Verdrängung, Schuldenkrise sowie progressive Zukunftsentwicklung reflektiert werden. So finden am 21. März unter dem Titel „170.000 Unterschriften für das Tacheles“ vor dem Roten Rathaus eine Kundgebung mit Performances und am 1. Mai weitere politische Aktionen statt. Was genau am 1. Mai passieren soll, sei eine Überraschung, sagt Cerna.

Wer das Tacheles unterstützen will, kann bei der Gründung der Tacheles-Stiftung helfen, mit der das Tacheles weiterentwickelt und die zeitgenössische Kunst gefördert werden soll. Zudem besteht die Möglichkeit, Kunst auszustellen, Räume für eigene Workshops zu nutzen und Veranstaltungen zu organisieren. „Wir sind zu allen Schandtaten bereit“, sagt Cerna. LUKAS DUBRO