Schwelende rot-grüne Konflikte

Die Erhöhung der Tabaksteuer hat bewirkt, dass weniger Kinder rauchen. Weil jedoch Hans Eichel die Einnahmen wegbrechen, wollen die Finanzpolitiker den Steuerstopp

BERLIN taz ■ Geld oder Leben? Die rot-grüne Koalition muss sich bald entscheiden, ob sie lieber die Gesundheit der Jugendlichen schonen möchte – oder die Steuereinnahmen des Finanzministers Hans Eichel.

Am 1. September soll die Tabaksteuer ein drittes Mal seit März 2004 um 1,2 Cent pro Fluppe erhöht werden. Nur wenige Sitzungen haben die zuständigen Bundestagsausschüsse noch, um über das Schicksal dieser „dritten Stufe“ zu entscheiden.

Die Gesundheitspolitiker drängen vehement Richtung Erhöhung: Dank der jüngsten Erhöhungen der Tabaksteuer lassen immerhin acht Prozent mehr 12- bis 15-Jährige vom Tabak ab. Die Finanzpolitiker drängen ebenso heftig zum Steuerstopp: Denn dank der Erhöhungen haben sich Hans Eichels Einnahmen verringert.

In den Verhandlungen um die Gesundheitsreform ließ sich Eichel verpflichten, mit erst einer, dann zweieinhalb, ab 2006 jährlich mit 4,2 Milliarden Euro die Schwanger- und Mutterschaftsleistungen der Krankenkassen zu bezuschussen. Hierzu sollte ihm die Tabaksteuererhöhung dienen. Bloß hat diese dazu geführt, dass nicht nur Kinder abstinent bleiben, sondern Erwachsene auch auf Drehtabak ausweichen. Deshalb hat Eichel aus der Tabaksteuer 2004 nicht etwa mehr, sondern weniger als 2003 eingenommen: 13,6 statt 14,1 Milliarden Euro. Und dieses Jahr sieht bislang nicht besser aus.

Nun könnte Rot-Grün zwar, statt die Erhöhung für Fertigzigaretten zu stoppen, auch das Ausweichverhalten besteuern und sich also den Drehtabak vornehmen. Der „Feinschnitt“ blieb unlogischerweise von den Steuererhöhungen bislang ausgenommen. Ein für den September erwartetes Urteil des Europäischen Gerichtshofs wird ohnehin eine Änderung verlangen. Doch bislang verhalten sich die Koalitionäre hierzu recht bedeckt. Auch der Feinschnitt hat eine mächtige Lobby.

Der Hamburger Wirtschaftsrechtler Michael Adams, der auch für das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg arbeitet, nennt den Kinder- und Jugendschutz durch Steuererhöhungen einen „dramatischen Fortschritt“. Denn: „Die Tabakindustrie tut alles, um an die Kinder zu kommen. Alles findet im Alter von 10 bis 18 statt. Mit 20 wird keiner mehr süchtig.“

Zur Erweiterung der Steuerdebatte verweist Adams auf den Vorschlag seines Kollegen Jonathan Gruber vom Massachussetts Institut of Technology (MIT). Der hat ein Konzept erarbeitet, wonach die Tabakindustrie einen bestimmten Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen offiziell süchtig machen darf – aber für jedes darüber hinausgehende Prozent muss sie eine Sondersteuer zahlen. Damit würden dann die gesellschaftlichen Folgekosten der Nikotinsucht abgedeckt. Ein solches Konzept würde auch die deutsche Diskussion über die Verantwortung der Industrie sicherlich beleben. ULRIKE WINKELMANN