„Die Hartz-IV-Proteste sind schuld“

Ohne soziale Ächtung demonstrieren zu können, hat Neonazis motiviert, sagt der Rechtsextremismusexperte Flad

taz: Herr Flad, die Neonazi-Szene ist um 25 Prozent gewachsen. Überrascht Sie das?

Henning Flad: Nicht wirklich, denn diese Zahlen bestätigen bloß, was bei den wichtigen Aufmärschen des vergangenen Jahres bereits zu beobachten war. Zugleich bewerte ich diese Zahlen mit Vorsicht. Zum Teil schaut die Polizei bei rechtsextremistischen Straftaten einfach genauer hin als noch in den Vorjahren. Der ganze Übergangsbereich zwischen Neonazi-Banden und Jugendgangs wiederum wird vom Verfassungsschutz gar nicht registriert.

Gab es 2004 Gründe, die den Zuwachs besonders begünstigt haben?

Der Wahlerfolg der NPD in Sachsen hat den Neonazis sicherlich gut getan. Meiner Meinung nach waren es aber auch die Proteste gegen Hartz IV, die die rechte Szene gestärkt haben. Wenn Neonazis zum Rudolf-Heß-Marsch mobilisieren, dann kommt nur der harte Kern. Bei den Hartz-IV-Protesten hingegen konnten sie sich als Teil einer großen Bewegung sehen. Zum ersten Mal seit langem gelang es Neonazis, an Protesten teilzunehmen, wo sie nicht sozial geächtet wurden, vor allem in vielen ostdeutschen Kleinstädten nicht.

Eine besondere Gefahr sehen die Verfassungsschützer im Rechtsrock. Wie gravierend ist der Einfluss?

Rechtsextremistische Musik bleibt einer der wichtigsten Faktoren, die den Einstieg in die harte Neonazi-Szene begünstigen.

Und was kann man dieser Entwicklung entgegensetzen?

Allein auf die politische Karte zu setzen, ist keine gute Idee. Die Auseinandersetzung muss auch auf einem kulturellen Feld laufen. Konkret heißt das: andere Jugendkulturen fördern. Dazu gehört zum Beispiel auch die Unterstützung selbstverwalteter Jugendzentren von HipHoppern in ostdeutschen Kleinstädten.

Wobei Neonazis nun versuchen, auch den HipHop von rechts zu besetzen.

Es gibt zwar einen ressentimentgeladenen Rand, aber noch keinen neonazistischen Arm in der HipHop-Szene.

Wohin bewegt sich die Neonaziszene?

In den Jahren zuvor ist von der NPD nicht mit Rechtsrock Wahlkampf gemacht worden. Das ist jetzt aber der Fall und das Ergebnis eines längeren Prozesses, der jetzt abgeschlossen ist. Die rechtsextreme Subkultur gilt jetzt offiziell als akzeptiert. Damit ist die NPD noch stärker als bisher in der Lage, mit dem harten Neonazismus zusammenzuarbeiten.

INTERVIEW: FELIX LEE

HENNING FLAD, 31, ist Politikwissenschaftler in Berlin und befasst sich mit rechtsextremen Jugendkulturen.