Aufgebauschte Wattebäuschchen

Mit ungewöhnlicher Vehemenz verfolgt Hamburgs Justiz elf Erzieherinnen, die bei einer Kita-Debatte in der Bürgerschaft mit Wattebäuschchen warfen. Amtsgericht spricht eine Angeklagte frei – wegen Versäumnissen des Parlamentspräsidiums

Von Kai von Appen

Die aufgebauschte Justiz- und Staatsschutzaffäre um ein paar Wattebäuschchen offenbart jetzt überraschend gravierende Versäumnisse der Hamburger Bürgerschaft. Das Amtsgericht sprach gestern die Aktivistin des Beschäftigungsbündnisses der Hamburger Kitas, Sabine Müller*, vom Vorwurf der „Störung eines Gesetzgebungsorgans“ frei, obwohl sich Müller eigentlich schuldig gemacht hat – das aber nicht wissen konnte, so Amtsrichter Tonner.

Müller hatte zusammen mit zehn Mitstreiterinnen am 27. Oktober 2004 eine Kita-Debatte der Bürgerschaft von der Zuschauertribüne aus verfolgt. Um ihren Unmut über die Pläne des CDU-Senats als „Schnee von gestern“ zum Ausdruck zu bringen, ließen sie Wattebäuschchen von der Empore schneien. Entgegen der Geschäftsordnung unterbrach die gerade amtierende Sitzungsleiterin, Bürgerschaftsvizepräsidentin Bettina Bliebenich (CDU), sofort die Plenardebatte für vier Minuten. Sie ließ die Frauen von Rathausdienern abführen und durch die Polizei die Personalien feststellen.

Obwohl der Vorfall als Bagatelle abgehakt werden könnte, zeigt die doch so sehr überlastete hanseatische Justiz eminenten Verfolgungseifer: Allen beteiligten Frauen flatterten Strafbefehle über 600 Euro ins Haus. Acht Erzieherinnen, die rechtzeitig Widerspruch einlegten, wird dieser Tage in Einzelverfahren der Prozess gemacht.

In der vorigen Woche bekam bereits Petra Meyer* die geballte Macht der Justiz zu spüren. Da Meyer ihren Widerspruch gegen den Strafbefehl aufrecht erhalten wollte, terminierte Richter Jörgen Peters das Verfahren gleich auf sechs Verhandlungstage mit zahlreichen Zeugen. Da Meyer schnell erkannte, „dass kein faires und rechtsstaatliches Verfahren“ zu erwarten sei, ließ sie über ihre Verteidigerin den Vorschlag unterbreiten, eine Geldbuße von 400 Euro bei Einstellung des Verfahrens zu zahlen. Obwohl es gerichtliche Praxis ist, eine Frist für die Zahlung einzuräumen, verlangte Peters die Begleichung der Summe innerhalb einer Woche, sonst würde er das Verfahren bis zum bitteren Ende weiterführen und die Prozesskosten damit in die Höhe treiben. Meyer kapitulierte und zog den Widerspruch zurück.

Dass man den Fall anders sehen kann, zeigte gestern Richter Tonner. Er stellte fest, dass die Geschäftsordnung der Bürgerschaft nirgendwo im Rathaus aushängt. Daher hätte Meyer auch nicht wissen können, dass das Werfen von Wattenbäuschchen verboten ist. Zudem hätte Bliebenich sie nach der Geschäftsordnung zunächst ermahnen müssen, bevor sie Ordnungsmittel gegen die Frauen anordnete, was sie jedoch versäumte. Es hätte eine Aufforderung ergehen müssen, dass die Gruppe das Werfen zu unterlassen habe, so Richter Tonner.

Gespannt erwartet nun Erzieherin Katrin Braun* ihren Prozess morgen bei Amtsrichter Krispien. Ihr Anwalt Uwe Maeffert staunt über die „Kriminalisierung unbescholtener Frauen“: Der Vorfall werde zur „Majestätsbeleidigung aufbauscht“. Normalerweise würden solche Verfahren „wegen Geringfügigkeit mit einer Ermahnung eingestellt“, sagt Maeffert. „Ich kann mir das nur so erklären, dass es eine Weisung vom Justizsenator an die Staatsanwaltschaft gibt, hart durchzugreifen.“

* Namen geändert